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  Der Berufsalltag eines Einzelanwalts  

  Der Berufsalltag eines Einzelanwalts
 
  Vortrag gehalten an der Universität Münster am 3.6.2004 anlässlich der jurstart Messe, einer Jobbörse für Juristen an der Universität Münster (www.jurstart.de)

Sehr geehrte Teilnehmer,
zunächst danke ich für Ihr Interesse an meinem Vortrag.
Mein Name ist Michael Rietz, 43 Jahre, seit 1991 als Einzelanwalt tätig. Wer mehr über mich und meine Arbeit wissen möchte: www.rietz.de .
Als ich vor fast 15 Jahren ins Berufsleben eingestiegen bin, gab es solche Veranstaltungen wie diese noch nicht. Mittlerweile gibt es an vielen Universitäten solche workshops und Börsen. Ich begrüsse dies sehr und halte es auch für sehr hilfreich, wenn Praktiker und Absolventen so zusammengebracht werden.
Wenn man sich das Programm dieser jurstart-messe ansieht, mit all den grossen Namen, dann mag man meinen, der Berufsalltag eines Einzelanwalts -zumal im Strafrecht- muss ja langweilig sein. Keine grosse weite Welt, keine internationalen Konzerne und Fusionen, sondern die etwas miefige Kleinkanzlei in einer Provinzstadt. Das ist sicherlich keine Perspektive für mich, mag so mancher denken.
Aber schon die soziale Wirklichkeit wird ihn eines besseren belehren. Heute sind weit über die Hälfte der 130.00 Rechtsanwälte in Deutschland als Einzelanwälte niedergelassen. Hierfür gibt es verschiedene Gründe, auf die ich nicht alle eingehen kann aber oft spielt hierbei auch die nicht so gute Examensnote eine Rolle, die diese Kanditaten für die grossen Kanzleien uninteressant machen. Dies muss aber gar kein Nachteil sein. Denn die Qualität eines Anwalts, und dies sage ich bewusst nicht bloss so daher, misst sich nur wenig an seiner Examensnote allein. Ich jedenfalls bin in einem beruflichen Alltag oft auf Jung-Anwälte aus renommierten Grosskanzleien getroffen, die weit weniger praktisches Hintergrundwissen zum Problem hatten, als die beteiligten Einzelkämpfer. Dies ist eine empirische Tatsache, die mir auch von Kollegen immer wieder bestätigt wird.
Hinzu kommt, dass die Mitarbeit in einer Grosskanzlei Segen und Fluch zugleich sein kann. Grosse Kanzleien zerfallen, heute ist keine Anstellung, sei es in großen oder kleinen Unternehmen oder Kanzlein mehr sicher. Grosse Kanzlein sind heute keine statischen gewachsenen Gebilde mehr, sondern unterliegen ebenfalls einem steten Wandel und Veränderung. Dies schafft grosse Unruhe.
Nachdem zB das OLG Privileg gefallen war, kämpft heute so manche altehrwürdige OLG-Kanzlei in Hamm ums nackte überleben.
Auch kann sich für einen guten Absolventen nach zwei oder drei Jahren herausstellen, dass er sich in einem so grossen Laden mit seinen Zwängen und Bräuchen gerade doch nicht so wohl fühlt. Die Fluktuation ist daher dort stark.
Relativ unabhängig von solchen Entwicklungen bleibt der Einzelanwalt. Hierin liegt ein grosser Vorteil. Wenn man ihn zu einer Stärke nutzt, bietet er eine auskömmliche Nische. Mein Vortrag ist geradezu ein Plädoyer für die Anwalts- Ich AG, die, richtig betrieben, auch in Zukunft mehr als nur eine sichere existenzielle Nische bietet, sondern auch in höchstem Masse der Selbstverwirklichung dienen kann, viel mehr vielleicht, als dies in einem Kanzlei-Verbund möglich wäre. Daher würde ich heute mit keinem angestellten Anwalt mehr tauschen wollen. Und dass dies nicht bloss so daher gesagt ist, werde ich in meinem kurzen Vortrag versuchen zu verdeutlichen. Zunächst meine Kurzbiografie: Ich habe in Münster mit BAFÖG studiert, war vier Jahre Assistent bei Prof. Petev (Rechtsphilosophie) hier in Münster und meine beiden Examen in Hamm und Oldenburg abgelegt. Ich habe übrigens gute, aber keine Prädikatsexamen gemacht. Danach habe ich zunächst einige Zeit eher glücklos in einem westfälischen Industriekonzern gearbeitet, als ich zufällig von einem Münsteraner Rechtsanwalt angesprochen wurde, der zu dieser Zeit in Ostdeutschland für die Treuhandanstalt arbeitete. Ich habe ihn ab 1991 in Leipzig bei Liquidationen nicht sanierungsfähiger Ostbetriebe unterstützt und habe dann selbstständig für die Treuhandanstalt Aufträge als Einzelanwalt abgewickelt. Daneben war ich für den Medienrechtler Professor Degenhart aus Münster, der zu dieser Zeit einen Ruf an die neu gegründete Juristenfakultät Leipzig erhielt, als Assistent an der Uni Leipzig tätig. Ursprünglich wollte ich also eine wissenschaftliche Karriere einschlagen. Aber oft nimmt einem der Zufall auch Entscheidungen aus der Hand.
Da ich aus persönlichen Gründen an Wochenenden oft in Münster war, habe ich einen Münsteraner Kollegen getroffen, der mich in einem grösseren Wirtschaftsstrafverfahren bat, ihn als Pflichtverteidiger zu unterstützen (es ging damals um aufsehenerregende illegale Lieferungen eines westfälischen Unternehmens in den Irak). Meine kaufmännischen Kenntnisse und technisches Hintergrundwissen haben mir diese Arbeit erleichtert, sodass ich sehr erfolgreich dieses über einjährige Strafverfahren hier am Landgericht Münster geführt habe.
Da die Medien über dieses Verfahren viel berichtet hatten, bekam ich erste lukrative Anschlussaufträge. So habe ich ab 1995 im Balsam Verfahren als Pflichtverteidiger den ehemaligen Finanzvorstand am Landgericht Bielefeld fast 3 Jahre lang verteidigt. Viele weitere Großverfahren im Bereich Anlagebetrug und Exportverstössen folgten. 1998 habe ich den sog. Atomspion Karl Heinz Schaab vor dem bayr. Obersten Landesgerichts wegen Landesverrats verteidigt. Er war nach Brasilien geflohen und ihm war vorgeworfen worden, geheime Zentrifugenzeichnungen und Bauteile für die Urananreicherung an den Irak verkauft zu haben. Nachdem er aus Brasilien aus politischen Gründen nicht nach Deutschland ausgeliefert wurde, bin ich auf Bitte der Familie nach Rio geflogen und habe nach ausführlichen Gesprächen mit dem Mandanten und der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe seine freiwillige Rückkehr nach Deutschland verhandelt und ein äusserst mildes Urteil für Herrn Schaab erreicht. Mit diesem Verfahren, das weltweites Medienecho auslöste, habe ich meinen Durchbruch als Strafverteidiger bundesweit erzielt. Im letzten Jahr habe ich beispielsweise einen der ehemaligen Chefwaffeneinkäufer Saddam Husseins, Herrn Al Haddad, der in Sofia aufgrund eines internationalen Haftbefehls festgenommen worden war, am Landgericht in Mannheim verteidigt. Seine Kinder in Jordanien waren im internet auf meine Erfahrung im Aussenwirtschaftsstrafrecht aufmerksam geworden und hatten mich nachts per email mandatiert. Am nächsten Tag sass ich im Flieger nach Sofia und habe ihm im dortigen Gefängnis aufgesucht (was einen eigenen Bericht wert wäre), bin von ihm mandatiert worden und habe dort vor dem bulgarischen Staatsgerichtshof den Mandanten im Rahmen des Auslieferungsverfahrens zusammen mit den bulgarischen Rechtsanwälten vertreten.
Mit Fleiss und einigem Glück habe ich bis heute bundesweite Verteidigungen in grossen Wirtschaftsstrafsachen durchgeführt und einen Namen, was dazu führt, dass ich vereinzelt sogar von grossen Kanzleien angesprochen worden bin, ob ich nicht nach dorthin wechseln möchte, was ich bisher immer abgelehnt habe, weil ich vielleicht mehr Geld verdienen könnte, aber nicht unbedingt eine sicherere Basis hätte. Und schon gar nicht mag ich meine Selbständigkeit und die damit verbundene Freiheit aufgeben.
Gerade die Strafverteidigung ist ein Gebiet, in denen man auch heute noch, trotz aller Spezialisierung, als Einzelanwalt sehr gut arbeiten kann. Treffender als mit den Worten des Geheimen Justirats Dr. Franz von Liszts, vor 100 Jahren, lässt es sich auch heute nicht sagen. Von Liszt sagte:
Der Beruf des Verteidigers ist ein edler, der besten Kräfte würdiger. Dazu gehört eine ausgebreitete Kenntnis auf den verschiedensten Gebieten des Wissens, reiche Lebenserfahrung, ein weiter psychologischer Blick, kampfbereite Geistesgegenwart und eine gewinnende , an Verstand und Herz sich wendende Beredsamkeit. Wie der Arzt und der Priester in das menschliche Elend und Laster herabsteigen müssen, so ist es, dem Angeklagten in dem Kampf für Freiheit und Leben eine hilfreiche Hand zu bieten, ein gewiß gleich vornehmer und würdiger Beruf.

Es mag sein, daß er nicht nach jedermanns Geschmack ist. Aber viele von Ihnen werden mit dem Examen vor der Frage stehen, ob sie sich als Einzelanwalt niederlassen wollen. Dazu kann ich nur zureden. Ich halte von all dieser Schwarzmalerei überhaupt nichts. Juristenschwemme hin oder her. Heute hat das lebendige Recht fast alle Lebensbereiche des Menschen derartig erfasst, so dass meiner Meinung nach auch noch 250.000 Rechtsanwälte eine auskömmliche Existenz darauf gründen können, auch wenn jetzt viele ungläubig den Kopf schütteln. Wir werden es sehen. Zunemende Verrechtlichung, EU-Erweiterung und ständige Spezialiserungen lassen den Bedarf geradezu rasant steigen, weshalb ich persönlich auch den von der EU geplanten Deregulierungen des Anwaltsmarkts (Stichwort Rechtsberatungsgesetz) äuserst gelassen entgegen blicke, nach dem alten kaufmännischen Motto: Konkurrenz belebt das Geschäft.

Sicher, man darf vielleicht keine Reichtümer mehr erwarten. Aber wer sich allein von finanziellen Dispositionen bei der Berufswahl leiten lässt, der begeht in meinen Augen ohnehin einen schweren Fehler. Idealismus und echtes Interesse für die Ausnahmesituation der Menschen, die sich an den Anwalt Ihres Vertrauens wenden, sollte das Leitmotiv für die Tätigkeit als Einzelanwalt sein. Die hohe persönliche Befriedigung, die daraus resultiert, ist mit Geld gar nicht aufzuwiegen.
Hierin liegt doch die grosse Stärke und der Vorteil des Einzelanwalts gegenüber der mittleren oder Grosskanzlei. Er kann mehr Zeit pro Mandant aufbringen, dringt tiefer zum Mandanten und seinem Problem vor. Wenn kein Kostendruck das Mandat diktiert, können oft Lösungen gefunden werden, die auch ausserhalb von bloss juristischen Erörterungen ein sicheres Fundament für die Erledigung der Rechtssache schaffen. Wer also Jura mit menschlichem Anlitz praktizieren will, der sollte, ja der muss geradezu als Einzelanwalt tätig werden.
Nur einer Täuschung darf er sich dabei nicht hingeben; Er arbeitet dabei nicht nur genauso viel wie in einer Grosskanzlei, sondern oft noch mehr. Ein Drittel meiner Arbeitszeit verbringe ich in Gerichtssälen in Deutschland, ein weiteres Drittel ist Aktenstudium und Besprechungen mit und bei dem Mandanten und 1/3 ist Vor- und Nachbereitung der juristischen Arbeit am Schreibtisch und Computer. Ich habe in Potsdam in einem Umfangreichen Korruptionsverfahren um Kläranlagen verteidigt, am Landgericht Stuttgart einen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vertreten, der in einen gross angelegten Anlegerbetrug mit Gefälligkeitstestaten verwickelt war. Am Landgericht Düsseldorf habe ich einen ehemaligen Geldkurier des Medellin-Drogenkartells verteidigt und kleinere Strafsachen habe ich an vielen Amtsgerichten und Landgerichten von Nord- bis Süddeutschland verteidigt. Ich kenne über 30 Justizvollzugsanstalten in Deutschland und im Ausland. Ich bin ein Vorreiter für den elektronischen Hausarrest gewesen und halte es mit Voltaire, der einmal sagte, ein Mensch im Käfig, ist ein verlorener Mensch. Ich bin Strafverteidiger mit Leib und Seele. Ich liebe es in Strafprozessen Zeugen durch geschickte Fragen auf ihre Glaubwürdigkeit hin abzuklopfen und Dinge zutage zu fördern, die sich in den Akten erst leise andeuten und am Ende für das Verfahren so wichtig werden.
In den grossen Wirtschaftsstrafverfahren habe ich oft Akten, die mehrere 1000 Seiten umfassen. Nur mit sicherer Kenntnis des Akteninhalts, der aufgefundenen und bewerteten Beweislage kann der Mandant richtig beraten werden. Es gibt Tage, da lese ich bis tief in die Nacht die Akten, wie jetzt in einem aktuellen Wirtschaftsstrafverfahren hier am LG Münster gegen zwei Brüder aus Dülmen, die ein Müllentsorgungsimperium auf etwas trüben Sand gebaut hatten. Auch dieses Umfangsverfahren wird am Ende über mehrere Jahre gelaufen sein.
Stern, Spiegel, Focus, die Welt, der Tagesspiegel und Bild, aber auch das Fernsehen und Radio haben in vielen Beiträgen über mich und meine Prozesse teils in grosser Aufmachung berichtet. Wer meint ich übertreibe, mag diese Beiträge auf meiner homepage anschauen. All dies hat mich bundesweit bekannt gemacht. In den USA ist im Jahr 2001 ein erfolgreicher Dokumentarfilm mit dem Titel stealing the fire entstanden, der sich mit dem Nuklearschmuggel befasst und meine Rolle als Strafverteidiger der vermeintlichen Händler des Todes beleuchtet.
Wer also bereit ist, etwas zu leisten, wird es in jedem Beruf zu etwas bringen. Das gilt nicht mehr und nicht weniger für den Einzelanwalt. Lassen Sie sich nicht von Daten Zahlen und Statistiken irritieren. Denn vor dem Hintergrund der persönlichen Biografie ist dies alles Makulatur. Schon zu meiner Zeit wurde ich dringend davor gewarnt, mich als Einzelanwalt zu betätigen, und meine Ehefrau (die auch in Münster Jura studiert hat und zunächst bei der Bayerischen Landesbank und heute für einen grossen amerikanischen Finanzinvestor in Frankfurt notleidende Kreditengagements betreut) schimpfte mit mir, damals noch Studentin, als ich 1991 das Angebot des sächsischen Justizministeriums ablehnte, Richter in Dresden zu werden, und statt dessen das Wagnis des Einzelkämpfers einging, mit allen Unsicherheiten, die das so mit sich brachte, und die bis heute nicht beendet sind.

Sicherheiten gibt es heute weniger denn je; auch als angestellter Anwalt kann ich von heute auf Morgen gekündigt werden. Und auch der Einzelanwalt kann finanziell scheitern. Es gibt kein Patentrezept, das ich Ihnen hier verkaufen könnte. Aber das finanzielle Risiko zu Beginn ist gering. Man kann durchaus mit einer Wohnzimmerkanzlei starten, braucht keinen grossartigen business-plan und Kredite für teure Büroausstattung. Man hängt das Schild raus und fängt an. Über die neuen Medien wie internet, juristischen Datenbanken und Computer ist es heute problemlos möglich, sich rasch einen umfassenden Überblick für ein aktuelles Rechtsproblem zu verschaffen, mit dem man konfrontiert ist. Wem systematische Analysen vertraut sind, findet sich auch in bisher nicht bearbeiteten Rechtsgebieten rasch zurecht und kann dem Mandanten effektiv helfen.

Ich kann nur empfehlen, in einer solchen Phase Bekannte und Verwandte über die erfolgte Niederlassung zu informieren. Wer das Strafrecht mag, sollte bei Amtsgerichten des Bezirks sich bei den Strafrichtern vorstellen und anbieten, das man Pflichtverteidigungen übernimmt. Tut man dies mit Engagement, sind weitere Beiordnungen sehr wahrscheinlich. Da sich im Juli die Gebühren für diese Tätigkeit stark erhöhen werden, ist dies für einen Anfänger immer noch ein lohnendes Geschäft, zumal wenn er geringe Kosten hat. Auch die Teilnahme an einem telefonischen Anwaltsnotdienst kann in der ersten Zeit Mandate bringen.
Ich selbst betreibe heute wahrscheinlich eine der erfolgreichsten Wohnzimmerkanzleien Deutschlands; allerdings ist dieses Wohnzimmer auch über 250 qm gross und liegt in erstklassiger Lage im Herzen Münsters auf der Salzstrasse; und dies vor allem deshalb, weil ich den fliessenden Übergang zwischen Privat und beruflich ebenfalls als Wettbewerbsvorteil nutze. Dass man dabei nie ganz abschaltet, habe ich bewusst nicht als Nachteil gesehen. Ein Arzt vergisst das Leid seiner Patienten auch nicht, wenn er aus dem Krankenhaus nach Hause fährt.

Es gibt immer noch viel zu wenige gute und engagierte Strafverteidiger. Wer sich dort einen Namen macht, kann mit einem sicheren und dauerhaften Strom an Mandaten rechnen, denn gerade in Justizvollzugsanstalten spricht es sich schnell herum, wenn ein Verteidiger besonders engagiert ist und sich auch Zeit für den Mandanten nimmt. Ich weiss dabei nur zu gut wovon ich spreche. Fast alle Mandanten der ersten Stunde vertrauen noch heute auf meinen Rat. Denn wer mehr Zeit pro Mandant investieren kann, hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil; er hört länger und intensiver zu, erfährt wichtige Einzelheiten, die gerade für eine Strafmassverteidigung wichtig sind. Ich habe oft milde Urteile oder Haftentlassungen nur dadurch erzielt, dass ich die Vorgeschichte der Tat und das Psychogramm des Täters dem Gericht so präsentieren konnte, dass es sich am Ende diesen Argumenten im Urteil nicht verschliessen konnte. Dies wäre ohne den sehr dichten und intensiven Kontakt zum Mandanten nie gelungen.
Weit über die Hälfte meiner Tätigkeit haben daher mit Jura rein gar nichts zu tun. Dies liebe ich an meinem Beruf. Die Juristerei ist nur Mittel zum Zweck. Das Recht ist nicht Selbstzweck. Daher sind für mich die sog. Soft-skills und eher psychlogische und sprachliche Fähigkeiten oft viel wichtiger als die Kenntnis der letzten BHG-Entscheidung zur Versuchsstrafbarkeit bei den sog. Unechten Unternehmensdelikten. Mandanten erwarten nicht immer eine Doktorarbeit zu einer Frage sondern brauchen eine praktische Antwort, die das Problem nachhaltig lösen kann. Wer nicht nachhaltig verhandeln und seinen Standpunkt überzeugend vertreten kann, wird zB. In einem Steuerstrafverfahren, wie ich es vor einigen Wochen hier in Münster für einen ehemaligen Chefarzt zu führen hatte, mit dem Finanzamt und der Steuerfahndung kaum eine tatsächliche Verständigung hinbekommen, die dem Mandanten immerhin bereits festgesetzte Mehrsteuern von über 750.000 EUR erspart hatten. Der Kampf ums Recht ist in jeder Hinsicht auch in der alltäglichen Arbeit härter und anspruchsvoller geworden. Aber auch hier liegt eine grosse Herausforderung.
Mobilität ist heute wichtiger denn je; ich habe aus meiner Tätigkeit in Chemnitz und Leipzig Kontakte, die mich gelegentlich mit Sanierungen angeschlagener GmbHs in ganz Deutschland beauftragen. Erst im letzten Monat habe ich in einem Strafverfahren in Weiden in der Oberpfalz einen Unternehmer wegen des Vorwurfs der Insolvenzverschleppung verteidigt. Viele Mandate ergeben sich durch Zufall und Fairness.
Ich habe einmal eine email Anfrage aus Ho Chi Mingh City, dem früheren Saigon in Vietnam erhalten, ob ich bereit wäre, eine 150.000 EUR Forderung dieses Vietnamesischen Betriebes gegen ein Unternehmen hier aus dem westfälischen zu realisieren. Meinen Namen hatte das Unternehmen von der Botschaft in Vietnam bekommen, neben einigen anderen. Alle anderen Kanzleien haben entweder gar nicht oder mit fast unanständigen Kostenvorschussanfragen geantwortet.

Ich habe mir stattdessen die Mühe gemacht, über das anfragende Unternehmen zu recherchieren; es stellte sich heraus, dass es sich dabei um einen der grössten Reifenhersteller im asiatischen Raum handelte; also um meine Honorarnote musste ich mir kaum Sorgen machen. Wer zudem die asiatische Mentalität kennt, der weiss, dass eine Nichtzahlung einer berechtigten Forderung dort kaum in Betracht kommt. Der Schuldner, eine deutsche GmbH mit einer kroatischen Muttergesellschaft, war hier in Deutschland nach Auskünften die ich einholte, zwar finanziell angeschlagen, aber wegen der sehr starken Muttergesellschaft in Kroatien wohl auch in der Lage, die Verbindlichkeit langfristig zu erfüllen. Mit diesen recherchen bin ich zunächst auf eigenes Risiko und eigenem Geld in Vorleistung gegangen.
Danach habe ich in einer sehr langen und äusserst höflichen email-Antwort die gerichtlichen und aussergerichtlichen Möglichkeiten der Forderugsbeitreibung auf englisch ausführlich geschildert. Ich habe insbesondere darauf hingewiesen, dass es besser wäre, nicht den Klageweg zu beschreiten, sondern eine einvernehmliche Lösung auf dem Verhandlungswege zu finden. Dies hat den Generaldirektor derartig beeindruckt, dass er mir sofort den Auftrag zur Realisierung der Forderung erteilte.
Nach langen Verhandlungen beim Deutschen Schuldner, zusammen mit dem kroatischen Firmeninhaber, konnte eine Ratenzahlungsvereinbarung gefunden werden, die dem deutschen Schuldner das Überleben sicherte, den Vietnamesen das geschuldete Geld in die Kasse brachte und mir ein sattes Honorar ermöglichte. Später ist der vietnamesische Direktor nach Deutschland gekommen und hat sich für mein Engagement persönlich bedankt. Dies sind Momente, die man nie mehr vergisst.
Die deutsche GmbH, die bis dato nur gelegentlich anwaltlich vertreten wurde, war von meinem Vorgehen ebenfalls so begeistert, dass sie mich gleich in der Folge mit einem eigenen Inkassoauftrag in Belgien betraute und später mich als Vertragsanwalt für ein Joint Venture Vorhaben in Lyon beauftragte, weil niemand in der Fa. Ausreichende französisch Kenntnisse hatte.
Was ich sagen will, ist, dass man oft erst auf den zweiten Blick in einer Rechtssache auch eine grosse Chance erkennen kann, wenn man mutig und entschlossen Dinge anfasst und bei aller Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und der strengen Beachtung des Gebots der Nichtvertretung widerstreitender Interessen, also den unabdingbaren drei Grundsäulen der Anwaltsethik, schlicht auch etwas unternehmerisch denkt. Diese Chance hatten die grösseren Kanzleien, die ja auch angefragt worden waren, schlicht verpasst.
Heute vertrete ich nämlich sowohl das kroatische Unternehmen als auch das vietnamesische Unternehmen des öfteren – und lerne so ganz nebenbei die Welt kennen. Erst Ende letzten Jahres habe ich für die Vietnamesen eine Forderung gegen ein grosses tschechisches Unternehmen in Ostrava realisiert. Nur meine sofortige Präsenz und meine zähen persönlichen Verhandlungen mit der Geschäftsführung vor Ort, haben eine wirtschaftlich für beide Seiten sinnvolle Lösung erbracht. Andere Mandate haben mich öfters ins ehemalige Zaire, nach Südafrika und Namibia gebracht; im letzten Jahr nach Zypern und Dubai, dieses Jahr nach Rom. Ich habe Vorträge in Washington, Montreal, Moskau und Obninsk zum Aussenwirtschaftsstrafrecht gehalten. Ich habe in London mit Scotland Yard verhandelt und in Paris, Brüssel und Berlin in Botschaften Verträge ausgehandelt. Ich habe zu Non-proliferation, das ist die Nichtverbreitung von Kernwaffen und Technologie hierzu, mit einer Delegation im Auswärtigen Amt in Berlin konferiert. Dabei ging es um Nordkorea.
Ich war in Hong Kong, und oft in den Staaten, kenne New York, L.A., Dallas und Miami und einige der karibischen Inseln. Ein anderes Mandat führte mich erst vorletzte Woche nach Mallorca und Madrid. Ich war für Mandanten in Portugal und in der Schweiz. Nächste Woche bin ich vier Tage für einen österreichischen Geschäftsführer eines namhaften Unternehmens in Wien und verhandele dort (übirgens wieder mit Mitarbeitern einer Grosskanzlei) dessen Aufhebungsvertrag. Es stehen künftige Mandate in Bukarest und Al Mati in Kasachstan an. Einen Unternehmer aus Sachsen werde ich bei einem Millionen joint-venture in Litauen vertreten...

Sie sehen also, der Job eines Einzelanwalts muss gar nicht automatisch langweiliger sein, als die Tätigkeit in einer Grosskanzlei selbst. Es kommt nur darauf an, was man daraus macht. Und Chancen bieten sich jeden Tag. Man muss sie nur nutzen. Und man muss spontan, flexibel, weltoffen, liberal und – vielleicht nicht jedermanns Sache, etwas risikofreudig sein. Und das alles geht ganz bewusst auch ohne Dr.-Titel, Ehrenurkunden, Fachanwaltszulassung oder anderen Auszeichnungen. Wichtig ist nur, dass Sie sich ein soziales Netzwerk aufbauen und dies ständig pflegen. Diese Lobbyarbeit machen heute die grossen und kleine Kanzleien übrigens genauso wie Industriekonzerne.
Zurück aber wieder zum Kernbereich meiner Tätigkeit, dem Strafrecht und langsam dem Ende meiner Reise entgegen.
Wie antwortet beispielsweise man einem Mandanten, der Sie fragt, „was raten Sie mir? Oder soll ich dem Gericht die Wahrheit sagen?“ Die Antworten werden Sie in keinem Lehrbuch finden. Man braucht, was ich Judiz nenne. Und den Blick für das wirtschaftlich Sinnvolle und Machbare. Es gibt so viele Juristen, die in ihrer täglichen Arbeit den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Die zudem einfach keine persönliche Note im Umgang mit dem Mandanten entwickeln können, die also schlicht nicht überzeugen können. Gerade im komplizierten Wirtschaftsstrafrecht ist dies aber wichtiger denn je. Eine kluge Juristin hat in einem Beitrag die Welt der Strafjustiz sehr treffend formuliert:
„Die Realität der Strafjustiz - so kommt es mir nach 15 Jahren als Strafverteidiger heute vor - ist nicht deckungsgleich mit der Wirklichkeit in der Welt da draußen. Und dies ist das spannende an meinem Beruf: Es gelten andere Gesetze der Wahrnehmung, andere Maßstäbe der Einordnung und Bewertung, ja sogar Worte haben oft eine andere Bedeutung. Auf den ersten Blick gleicht ein Strafprozess einer Theatervorstellung. Alle haben sich verkleidet und der eigenen Person durch schwarze würdige Roben zusätzliches Gewicht verliehen. Das Stück selbst steht in groben Zügen in den Akten. Der Ausgang ist zwar offen, aber meistens absehbar. Alle Beteiligten haben ihre Rolle und ihren Text und machen durch Ausspielen der Fähigkeiten das Beste aus ihrem Part. So erscheint es mir, und ich finde gar nichts Verwerfliches dabei: Gerade bei vielen Verteidigern kann der Hang zur Großen Oper gar nicht übersehen werden. Staatsanwälte und Richter müssen sich in ihrer Selbstdarstellung beschränken, finden aber auch immer wieder Mittel und Wege, sich ins Zentrum des Interesses zu rücken - wenn eben auch auf dezentere Weise“. So ist es in der Tat.
Aber, wer indes mit grossem Fleiss, echten Engagement, steter Beharrlichkeit, Ehrlichkeit und Anstand in den Beruf als Einzelanwalt geht, der wird dort mehr Unabhängigkeit, Erfüllung und persönliche Zufriedenheit finden, als in jedem anderen Beruf der Welt. Nicht mehr und nicht weniger habe ich Ihnen versprochen. Nehmen Sie mich beim Wort. Und wenn Sie in zwanzig Jahren sagen können, mein Entschluss, Einzelanwalt zu werden, wurde auch beeinflusst von einem Vortrag, den ich von einem Kollegen in Münster auf jener jurstart Messe gehört hatte, dann habe ich erreicht, was ich mit meinen kurzen und intensiven Ausflug in mein kleines aber doch spannendes Reich bewirken wollte.
Und damit will ich schliessen, und zwar mit Goethe, aus seinen Maximen und Reflexionen:

"Wer das Falsche verteidigen will, hat alle Ursache, leise aufzutreten und sich zu einer feinen Lebensart zu bekennen. Wer das Recht auf seiner Seite fühlt, muß derb auftreten: ein höfliches Recht will gar nichts heißen." (Goethe, Maximen und Reflexionen, Gedenkausgabe Artemis 1948- 71, Band 9 S. 652),

Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und stehe nun für Rückfragen zur Verfügung.