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Unternehmen versichern sich gegen Dagoberts. Viele Kriminelle spekulieren auf die Schnelle Million | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Bis 1994 geisterte Arno Funke, alias Produkterpresser Dagobert, durch die Schlagzeilen. Dann wurde er gefaßt. Vor Nachahmern sichern sich Unternehmen mittlerweile durch eine neue Police ab. Vergiftete Tütensuppen und entgleiste Züge - damit drohte Hans-Peter L. aus Thale in Sachsen-Anhalt. Jedenfalls in seinen Erpresserbriefen. Die Forderung war wie in solchen Fällen üblich: Maggi müsse 1,1 Mio. DM Lösegeld zahlen - oder die Menschheit habe die Suppe auszulöffeln. Zur problemlosen Übergabe des Lösegeldes notierte der Erpresser seine Adresse auf dem Umschlag. Die Polizei mußte nicht einmal ihre Computer, sondern nur den Stadtplan bemühen, um L. festzunehmen. Der Richter berücksichtigte strafmildernd, daß L. äußerst naiv und dilettantisch vorgegangen war. "Kein Erpresser würde sich dümmer anstellen", hieß es in der Urteilsbegründung. Dabei hatte sich auch der Goofy unter Deutschlands Drohbolden am Medienstar Dagobert orientiert. Dagobert, alias Arno Funke, erpreßte zwischen 1992 und 1994 die Warenhauskette Karstadt. Rund 20 Geldübergaben scheiterten. Dabei zeigte sich Dagobert höchst erfinderisch: Sogar eine selbstgebaute Mini-Transportlore kam auf Bahnschienen zum Einsatz. Sie sollte mit dem Lösegeld in Windeseile davonbrausen, und die wachsamen Beamten abhängen. Nach einem Kilometer entgleiste sie dennoch: Die Öffentlichkeit war angetan von der Pfiffigkeit des Gauners. Im Gefolge des 1994 verhafteten Funkes versuchte so auch eine ganze Reihe von Nachahmern, die Konsumenten als Geisel zu nehmen. Und dabei ging es selten lustig zu: Anfang des Jahres drohte ein 48 Jahre alter Unternehmer, Schwartau-Marmeladen mit Rattengift zu versetzen. Der Erpresser wurde festgenommen und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ein 46jähriger Baden-Württemberger drohte damit, Mercedes-Fahrer zu erschießen und verlangte eine Millionensumme. Das Stuttgarter Landgericht schickte ihn Mitte des Monats für vier Jahre und neun Monate in Haft. Ein 35 Jahre alter Mann aus Dortmund ging die Unternehmen auf einen Schlag an: Aldi, Karstadt und die Deutsche Post AG. Insgesamt forderte er 3,3 Mio. DM. Um dem Nachdruck zu verleihen, zündete der Täter Lastwagen der Unternehmen an. Er mußte für sieben Jahre in Haft. Das sind nur die schwersten Fälle einer ganzen Reihe von Produkterpressungen im Verlauf der letzten Jahre. Fast immer nahm die Polizei den Täter im Rahmen einer vorgetäuschten Geldübergabe fest. Selten bestand eine tatsächliche Geldübergabe fest. Selten bestand eine Tatsächliche Gefahr für die Öffentlichkeit - was die Ermittler allerdings immer erst im nachhinein feststellen konnten. Bei den Produkterpressern schälte sich ein ganz bestimmter Tätertyp heraus, wie eine Aufstellung des Münsteraner Wirtschaftsanwaltes Michael Rietz zeigt: |
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Rietz hat selbst einen der Erpresser verteidigt: "Immer versuchten sich Männer als Erpresser. Häufig waren sie vorher nicht als Kriminelle in Erscheinung getreten. Und sehr oft steckten sie in vermeintlichen oder echten finanziellen Schwierigkeiten, aus denen sie sich mit Hilfe des Lösegeldes mit einem Schlag zu befreien ver-suchten." Wegen der scheinbar mühelosen Art der Geldbeschaffung wird die Produkterpressung in den USA auch als "armchair-Crime", also als Verbrechen quasi aus dem Lehnstuhl heraus, bezeichnet. "Im Fall von Dagobert alias Arno Funke kam hinzu, daß die Medien ihm zeitweise ein Robin-Hood-Image gaben", kritisiert der stellvertretende Sprecher des Bundeskriminalamtes, Dirk Büchner. Er macht die positive Art der Berichterstattung mitverantwortlich für die Vielzahl der Nachahmer. Die Amateure sind für die Polizeiprofis schwer einzuschätzen: "Bei den 100 bis 120 registrierten Erpres-sungsfällen pro Jahr gibt es eine Aufklärungsquote von 30% bis 35%", sagt Büchner. Die übrigen Täter brechen ihre Erpressung meist nachdem ersten Brief oder Telefonanruf ab. Melden sich nie wieder - und sind daher für die Fahnder kaum zu stellen. "Zudem sind die Opfer der Produkterpresser völlig austauschbar", analysiert der Leitende Kriminaldi-rektor Dieter Höhbusch aus Essen. Gezielt nutzten die Täter Schwachstellen im Wirtschaftsleben. Die werde es immer geben. Allerdings könnten sich die Unternehmen besser vorbereiten, fordert Höh-busch. Die Hersteller sollten seiner Meinung nach technische Sicherungen einbauen und Verpackungen so gestalten, daß kein Gift unbemerkt injiziert werden kann. Zudem könnten sie zusammen mit der Polizei oder privaten Spezialisten wie der Siegburger Firma Control Risks Deutschland GmbH Pläne für den Fall einer Erpressung erarbeiten. Schließlich müsse de Handel sein Personal besser schulen und zu mehr Aufmerksamkeit erziehen. Verdächtig sind für Höhbusch alle, die Waren in den Regalen ab-legen oder sich auffällig schnell aus den Verkaufsräumen entfernen. Seit neuestem kann sich die Wirtschaft sogar gegen Produkterpresser versichern. Die sogenannte Lösegeld-Versicherung war lange Zeit umstritten. Noch bis Mitte dieses Jahres hatte sich das Berliner Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen gegen solche Policen gewehrt. Die Berliner Versicherungswächter stuften die Lösegeldversicherung schlicht als sittenwidrig ein. Solche Produkte beeinträchtigten den Strafverfolgungsanspruch des Staates, erhöhten den kriminellen Anreiz und provozierten geradezu die Mißachtung geltender Strafvorschriften, hieß es in reinstem Amtsdeutsch. Die Aufseher befürchteten eine Zunahme von Erpressungsfällen - getreu dem Motto: "Es trifft ja keinen Armen, sondern nur eine Versicherung." Von diesem Standpunkt aber mußten die Berliner Aufseher weichen. In einigen Ländern der Europäi-schen Gemeinschaft ist die Lösegeldversicherung wie ehemals in Deutschland verboten, in anderen aber eben nicht. Ein Beispiel ist Großbritannien: Dort gibt es schon lange solche Versicherungen. Gemäß den Regeln des Europäischen Binnenmarktes hätten sie auch in Deutschland angeboten werden dürfen. Da sollten den deutschen Versicherungen nicht länger Fesseln angelegt werden. Eine Expertenrunde mit Vertretern aus den Bundesministerien der Finanzen, der Justiz und des Inneren überstimmte die Bedenkenträger. Damit war der Weg frei für die Lösegeldversicherung made in Germany. Allerdings konnte das Bundeskriminalamt scharfe Auflagen durchsetzen. Zu den wichtigsten gehört, daß für die neue Versicherung nicht geworben werden darf. Erst auf Nachfrage beschreibt Klaus Brandenstein, Sprecher im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, die Leistungen der Lösegeldversicherung: Sie kommt für das Lösegeld auf, deckt alle Kostendes Krisenmanagements, trägt den Schadenersatz aufgrund gesetzlicher Haftpflicht und begleicht Aufwendungen für Unfallfolgen. "Da es sich um sehr spezielle Risiken handelt, ist diese Versicherung an sehr strenge Bedingungen geknüpft", sagt Brandenstein. So müssen sowohl das Versicherungsunternehmen als auch der Versicherungsnehmer die Existenz einer Lösegeldpolice strikt verschweigen. Um Versicherungsbetrug, also Erpressungen zum Schein, zu unterbinden, ist die Versicherungssumme nicht beliebig hoch festzusetzen, sondern orientiert sich immer an den finanziellen Verhältnissen des Versicherungsnehmers. Und: Die Versicherung kommt nur für Schäden aus Erpressung und Entführung auf, falls von Anfang an die Polizei eingeschaltet war. "Angesichts dieser Auflagen teilt die Versicherungswirtschaft die Bedenken gegen eine Lösegeldversicherung nicht", zitiert Sprecher Brandenstein eine Pressemitteilung seines Verbandes. Derzeit bieten die Allianz, die Colonia und die HDI, Hannover, Lösegeldversicherungen an. VDI nachrichten, 25. September 1998/Nr. 39 |