L
Kanzleiprofil
Presseberichte
TV-Berichte
Kontakt
Home
© 1991-2011 Rechtsanwaltskanzlei Michael Rietz Impressum
  Außenwirtschaft Produkterpressung Insolvenzverfahren weitere Verfahren
  Atomspion Balsam Nigeria-Connection Kommentare Vorträge

  Themenübersicht:  
  Geld oder Leben
DIE ZEIT Nr.44, 22.Oktober 1998
 
   
  Unternehmen versichern sich gegen Dagoberts
VDI Nachrichten, 25.September 1998/Nr.39
 
   
  Drei Jahre für Maggi-Erpresser
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.August 1998
 
   
  Angeklagter Erpresser zeigt Reue:"Es tut mitr leid."
Westfälische Nachrichten vom 14.August 1998
 
   
  Maggi-Erpresser legt Geständnis ab, Münster
Neue Westfälische, 05.August 1998/Nr.179
 
   
  Prozessauftakt: Unternehmer gesteht vor Gericht Maggi-Erpressung
Die Glocke, 5.August 1998
 
   
  Vom Unternehmer zum Maggi-Erpresser: "Dagobert war mein Vorbild".
Bild-Zeitung, 5.August 1998
 

  Geld oder Leben

Bald gibt es auch in Deutschland Versicherungspolicen gegen Erpressung und Kidnapping

VON SIMONE WERMELSKIRCHEN

 
  Es war an einem sonnigen Tag in Kolumbien, als sich das Leben des Agrarwissenschaftlers Thomas Hargrove grundlegend änderte. Aus einer Laune heraus beschloß der Amerikaner, nicht wie sonst durch die Stadt, sondern entlang der idyllischen Küste zu seinem Arbeitsplatz zu fahren - ein gefährlicher Einfall. Nach wenigen Kilometern Fahrt stoppte ihn ein Guerillakommando und verschleppte den US-Bürger in den unwegsamen Bergdschungel von Cali. Seine Frau und die Söhne nahmen, unterstützt von erfahrenen Krisenmanagern, den Kampf um sein Leben auf. Irgendwie gelang es der Familie schließlich, das Lösegeld von über einer Million Dollar zusammenzukratzen. Nach elf Monaten kam der Amerikaner frei.

"In den letzten Jahren ist das Risiko, im Ausland entführt zu werden, alarmierend gestiegen", sagt Christof Bentele, Prokurist beim US-Finanzunternehmen AIG Europe, "deshalb fragen bei uns immer mehr Kunden nach Lösegeld-Versicherungen." Nachdem die American International Group (AIG) bereits vor über zehn Jahren Policen zur Deckung von Erpressungsbeträgen und Lösegeld eingeführt hat, wollen nun auch deutsche Versicherungen mit ähnlichen Angeboten auf den Markt kommen. Die erforderliche Genehmigung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen kam überraschend, zumal der unerwartete Sinneswandel einer Drehung um 180 Grad gleichkam. In der Vergangenheit hatte die Behörde die Erpressungspolicen immer als sittenwidrig eingestuft und argumentiert, daß sie den Tatenschluß von Gangstern nicht erleichtern wolle. Weil sich aber liberalisierte Märkte wenig um nationale Bestimmungen scheren, wurden Interessenten bei Kidnapping-, Schutzgeld- oder Produkterpressungspolicen eben im Ausland fündig. In Ländern wie den USA, England oder der Schweiz war das kein Problem. Die Versicherer hierzulande schauten bislang in die Röhre. Das soll nun ändern: In der Rolle des passiven Beobachters sieht sich die deutsche Branche nicht mehr. Nach Angaben von Brancheninsidern entwickeln Versicherungen wie die Allianz oder die Colonia unter Hochdruck konkrete Modelle. Zu Prämien und Policen gibt es noch keine Angaben, sicherlich wird man aber die Preise der Konkurrenz im Auge behalten.

Ein Beispiel: AIG-Kunden werden Lösegeld-Policen mit Deckungssummen bis 90 Millionen Mark geboten. Angesichts des langjährigen Vorsprungs von ausländischen Unternehmen wie der AIG Europe und der englischen Hiscox-Gruppe geben sich die deutschen Anbieter keinen Illusionen hin. Es wird dauern, bis man gleichziehen kann.

Momentan besteht ein klarer Wettbewerbsnachteil. So hält die AIG mit der vertraglich an sie gebundenen Kroll Associates einen Trumpf im Ärmel. Diese Krisenexperten beraten die Versicherungsnehmer präventiv und können durch ihr globales Netzwerk im Ernstfall überall auf der Welt aktiv werden. Ähnliches gilt für die Hiscox-Gruppe, die mit Beratern der Control Risks Group zusammenarbeitet. In vielen Ländern riskieren vor allem Manager ihre Freiheit, bisweilen sogar ihr Leben. Allein in Kolumbien, so schätzen Sicherheitsexperten, wurden im vergangenen Jahr mindestens 887 Personen entführt. Die Möglichkeit, gekidnappt oder erpreßt zu werden, hat sich von prominenten Persönlichkeiten hin zu Firmen und deren Repräsentanten verlagert. So sind es in Rußland Schutzgelderpressungen, die ausländischen Unternehmen Sorge bereiten. Die russische Mafia verschickt scheinbar seriöse Briefe: "Sie haben ein Problem im Bereich Sicherheit. Wir werden uns darum kümmern." Ein teurer Schutz. Namhafte Marken werden aber auch in Deutschland zu Opfern krimineller Machenschaften. Jüngstes Beispiel ist der Daimler-Benz-Konzern, der seit Anfang Oktober um mehrere Millionen Mark erpreßt wird. Nachdruck verliehen die mutmaßlichen Erpresser ihren Forderungen mit zwei Pflastersteinen, die sie auf der Autobahn 46 bei Neuss von einer Brücke herunter auf ein fahrendes Auto warfen. Ein Stein zerstörte die Windschutzscheibe, der Fahrer blieb unverletzt. Etwa 180 bis 200 Erpresser melden sich pro Jahr bei deutschen Herstellern.
Besonders Lebensmittelproduzenten, Kosmetikfirmen und Handelsketten sehen sich bedroht. "Das wird zu einer Art Volkssport", meint der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels.
"Etwas zynisch könnte man sagen, die meisten Täter sind gelangweilte Familienväter", beschreibt Wirtschaftsanwalt Michael Rietz den ungewöhnlichen Gangstertypus. Dabei sei die Hoffnung auf leicht ergaunertes Geld völlig unbegründet, denn in aller Regel würden die Erpresser geschnappt. Ist der Täter festgenommen, sind die Probleme der betroffenen Unternehmer keineswegs gelöst - es drohen enorme Umsatz- und Imageeinbußen. So verlor zum Beispiel der Nestlé-Konzern durch die Schlagzeilen um die Thomy-Erpressung zweistellige Millionenbeträge. Für fast alle diese Risiken gibt es mittlerweile passend zugeschnittene Versicherungen. Vor mancher unliebsamen Überraschung ist der Mensch dennoch nicht gefeit.

So wie im Fall von Thomas Hargrove. Als sich seine Familie in Kolumbien bemühte, das rettende Lösegeld aufzutreiben, verweigerte der Arbeitgeber seine Hilfe. Das Unternehmen sei zwar gegen dieses Ereignis versichert, hieß es, ziehe es aber vor, seine Police nicht zu belasten.
Nach seiner Freilassung zog Thomas Hargrove die einzig richtige Konsequenz: Er kündigte und suchte sich einen neuen Job.

22. Oktober 1998, DIE ZEIT, Nr. 44