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Anwalt plädiert bei Wirtschaftsstraftätern für elektronisch überwachten Hausarrest Von Axel Roll, Münster Will da jemand Justitias Augenbinde anlupfen, die ja bekanntlich Gleichheit vor dem Gesetz garantieren soll? Rechtsanwalt Michael Rietz schüttelt energisch mit dem Kopf. "Davon kann keine Rede sein", will er Mißverständnissen vorbeugen, wenn er sagt: "Solche Leute gehörten nicht hinter Gittern." "Solche Leute", das sind für ihn Manager, Geschäftsführer, Firmeninhaber, die wegen Flucht- oder Verdunklungsgefahr "zusammen mit Mördern und Vergewaltigern", so der 36jährige Jurist, in Untersuchungshaft auf ihren Prozeß warten. Und das oft ein oder zwei Jahre. "Durch diese lange Haft werden die Beschuldigten mit einem Schlag beruflich vernichtet. Nicht selten gehen Arbeitsplätze verloren", konstatiert der münsterische Anwalt, der fast ausschließlich hochrangige Firmenbosse verteidigt. Sein ausdrückliches Ziel: "Für Angeklagte in Wirtschaftsverfahren elektronisch überwachter Hausarrest statt Untersuchungshaft." Für diese in den USA seit einigen Jahren praktizierte Form des Strafvollzuges konnte der Münsteraner inzwischen auch die hohe Politik in Bonn interessieren. Erst vor wenigen Tagen bat Jörg van Essen als Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion per Fax um nähere Informationen zum Thema. "Die elektronische Fußfessel", ist sich Michael Rietz aufgrund seiner Erfahrungen sicher, "hat zahlreiche Vorzüge im Vergleich zur U-Haft." Da sei zum einen die Kostenseite: "Der Hausarrest ist wenigstens um die Hälfte billiger als der konventionelle Vollzug." Außerdem so betont er, würden die überfüllten Gefängnisse langfristig entlastet. Warum sollen aber gerade Tatverdächtige in Wirtschaftsstrafsachen in den Genuß des Hausarrests kommen? Michael Rietz muß für eine Antwort nicht lange überlegen. Zum einen sei da die soziale Komponente. "Dieser Täterkreis ist in gehobenen sozialen Stellungen bislang strafrechtlich nie in Erscheinung getreten. Deshalb ist eine weniger einschneidende Maßnahme in die Freiheit gerechtfertigt. Nachteile der konventionellen Haft wie Stigmatisierung und Einflüsse des Knastmilieus werden dadurch vermieden." Wichtiger ist dem Juristen aber folgender Punkt: "Durch den Hausarrest können die Beschuldigten den Betrieb weiterführen. Arbeitsplätze können erhalten werden." Rietz erinnert in diesem Zusammenhang an das Drensteinfurter Unternehmen H + H, dessen Geschäftsführer in Verdacht standen, Maschinen zur Raketenproduktion in den Irak geliefert zu haben. "Die Manager saßen monatelang in U-Haft, niemand konnte die Geschäftsführung übernehmen, 40 Mitarbeiter verloren ihren Job." Für den Wirtschaftsfachmann Rietz, der zur Zeit unter anderem Klaus Schlienkamp, Ex-Finanzvorstand des Sportbodenherstellers Balsam gegen den zwei Milliarden Mark schweren Betrugsvorwurf verteidigt, hätte der Hausarrest seiner Mandanten außerdem einen arbeitserleichternden Nebeneffekt. "Im Balsamverfahren existieren 360 000 Blatt Papier." Bei den Besuchen im Gefängnis immer die richtige Aktei dabei zu haben, ist unmöglich. So ist eine angemessene Verteidigung nur schwer aufzubauen", verweist der Anwalt auf umständliche Gefängnis-Besuche. "U-Haft schafft Rechtskraft." Dieser umstrittene Grundsatz in der Juristerei gibt Michael Rietz, der sich die ersten Honorare in zahlreichen Insolvenzverfahren in den neuen Bundesländern verdiente, weiterhin Anlaß, über den elektronischen Hausarrest nachzudenken. "Durch die lange U-Haft werden unverrückbare Tatsachen geschaffen, die es dem Gericht bei aller Unabhängigkeit unnötig schwer machen, ganz ohne Zwang auch einen Freispruch im Auge zu haben." Westfälische Nachrichten, 13.09.1997 |