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Mehr Freiheit durch die elektronische Fußfessel? |
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Strafvollzug Für Straftäter in Hessen brechen neue Zeiten an: Die elektronischen Fußfesseln werden aktiviert. Doch das bedeutet für Gefängnisinsassen noch nicht, dass sie ihre Strafe bald gemütlich zu Hause absitzen können. Unauffällig, aber effektiv? Die elektronische Fußfessel Wiesbaden - Denn für einen elektronisch überwachten Hausarrest, der eine Gefängnishaft ersetzen könnte, gibt es in Deutschland keine gesetzliche Grundlage. Die Länder wollen zwar eine Öffnungsklausel für Modellversuche in dem entsprechenden Bundesgesetz, konnten aber mit dieser Idee bislang keine Mehrheit im Bundestag erreichen. Die CDU/FDP-Koalition in Wiesbaden ist daher auf die Idee gekommen, die Fußfessel nicht als Strafform, sondern als Bewährungsauflage auszuprobieren - mit richterlicher Anordnung im Einzelfall und nur mit ausdrücklicher Zustimmung des künftigen Trägers der Fessel. Gesetzesänderungen sind dafür nicht nötig. Und so funktioniert der unscheinbare Kunststoffstreifen mit dem kleinen Sender dran: Die am Fußgelenk von verurteilten Straftätern angebrachten Geräte melden einem Zentralrechner sofort, wenn sich ihr Träger nicht mehr im Umkreis einer so genannten "Databox" befindet, die an das heimische Telefon angeschlossen wird. Im Rahmen eines auf zwei Jahre befristeten und 780.000 Mark teuren Modellversuchs sind 30 Geräte angeschafft worden, die im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt eingesetzt werden sollen. Bis zu 30 auf Bewährung freigelassene Straftäter können ab sofort in der Kriminalitätshochburg Frankfurt mit dem elektronischen Helfer am Fußgelenk ihrem normalen Job nachgehen und anschließend ihre Freizeit in den eigenen vier Wänden verbringen. Ihre Sender melden der am Telefon angeschlossenen "Databox" stets, ob sie sich innerhalb oder außerhalb der ungefähren Reichweite von 80 Metern befinden. Der bei der zentralen hessischen Datenverarbeitung in Hünfeld untergebrachte Zentralrechner vergleicht die Zeiten mit dem vorher eingegebenen Wochenprofil des Straftäters. Ist er zum Beispiel zu den vorgeschriebenen Zeiten nicht in der Wohnung oder liegt während der Arbeitszeit lieber auf dem heimischen Sofa, meldet sich das System. Die vier Sozialarbeiter, die das System überwachen, kümmern sich dann um den Fall und setzen die Bewährungshelfer in Gang. Zusätzlich sind die Arbeitgeber verpflichtet, zeitliche Verfehlungen ihrer Beschäftigten zu melden. Grundsätzlich soll es nur für die Arbeit erlaubt sein, die eigenen vier Wände zu verlassen. Besuche in der Stammkneipe, am Kiosk oder an der Trinkhalle um die Ecke sind nicht vorgesehen - gerade diese Milieus gelten als Risiko-Faktor. Kritiker wie der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele meinen, der permanente Aufenthalt im eigenen Heim könne nicht nur für den Fesselträger, sondern auch für seine Mitbewohner zur Belastung werden. Auch sehen sie die Gefahr eines Zweiklassen-Systems: Telefonfestanschluss und eigene Wohnung sind nämlich Voraussetzung für den Einsatz des elektronischen Wächters. SPIEGEL ONLINE - 02. Mai 2000, 13:08 |