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Tüfteln für Bagdad In München kommt erstmals ein deutscher Atomberater von Saddam Hussein wegen Landesverrats vor Gericht |
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Die Straße in Kaufbeuren strahlt niederbayerische Gemütlichkeit aus. Die schmucken Reihenhäuser stehen hinter sorgsam gepflegten Vorgärten. Aus einem der Häuser tritt jeden Morgen ein älterer Mann, der mit seinem Hund Gassi geht. Karl-Heinz Schaab, der Bewohner des Eigenheims, ist erst seit kurzem wieder zu Hause. Er war lange Zeit in Übersee - zuletzt in einem Gefängnis in Brasilien. Am heutigen Montag muß der 64jährige noch einmal verreisen. Vor dem 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts in München beginnt gegen ihn ein Prozeß. Der Vorwurf: Landesverrat. Die auf sechs Tage angesetzte Verhandlung wird aufmerksam beobachtet werden: Nicht nur Bonner Regierungsstellen, auch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA und die Uno verfolgen den Prozeß. Immerhin verpflichtet der Atomwaffensperrvertrag die Bundesrepublik dazu, den Verkauf von militärisch nutzbarer Nukleartechnologie zu verhindern. Und der gelernte Modellbauer Schaab soll dem Irakischen Diktator Saddam Hussein, bei dessen ehrgeizigem Projekt, eine Atombombe zu bauen, zur Hand gegangen sein. Damit, so der Vorwurf, habe er eine "konkrete Gefahr für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" verursacht. Der Schaab-Prozeß ist einer der letzten in einer langen Kette von Irak-Verfahren. Deutsche Firmen waren in den achtziger Jahren mit führend, wenn es darum ging, Bagdad mit High-Tech für Raketen und Massenvernichtungswaffen zu versorgen. Und doch ist der Prozeß ein juristisches Novum - als Landesverräter wurde bisher noch keiner der Exporteure verurteilt. Als 1995 die Waffeninspekteure der Uno auf einer Hühnerfarm südlich von Bagdad 147 Kisten mit geheimen Rüstungsplänen Bagdads entdeckten, stießen sie in "Container Nr.8, Ordner NUCL 759/1", auf vertrauliche Pläne zur Urananreicherung mittels sogenannter Gasultrazentrifugen (GUZ) - das so gewonnene spaltbare Material brauchen die Techniker für den Bau der Bombe. Die geheimen Konstruktionszeichnungen stammten von der Firma MAN-Technologie, das Unternehmen baute 1979 im westfälischen Gronau ein Montagewerk für Zentrifugen. Immer wieder tauchte in den Unterlagen auch der Name eines tüchtigen deutschen Helfers auf - Karl-Heinz Schaab. Den Inspekteuren war der Fall so wichtig, daß sie den Uno-Sicherheitsrat informierten. Noch aus Bagdad wurde das Auswärtige Amt in Bonn eingeschaltet. Einen kleinen Teil aus Schaabs Sündenregister hatte 1993 schon das Amtsgericht Kaufbeuren abgearbeitet, es verurteilte den Saddam-Zulieferer wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz per Strafbefehl zu elf Monaten auf Bewährung. Das Urteil war ein juristisches Hindernis für einen neuen Prozeß. Nur mit einer Wiederaufnahme, die einen weit schwereren Vorwurf voraussetzt, konnte Schaab noch einmal vor Gericht gebracht werden - etwa wegen Landesverrats. Deshalb übernahm der Generalbundesanwalt das Verfahren. Schaab steht allein vor Gericht, obwohl nach Aktenlage ein deutsches Trio für Husseins Atomtechniker als Berater arbeitete. Wie Schaab hatten auch die mittlerweile verstorbenen Experten Bruno Stemmler und Walter Busse zeitweilig bei MAN gearbeitet. Acht Tage lang packte Schaab bei der Bundesanwaltschaft aus. Demnach lief der Irak-Deal so: Zunächst kamen Busse und Stemmler mit den Irakern ins Geschäft. Stemmler soll laut Schaab auch die geheimen Blaupausen bei MAN beschafft, sie über die Grenze nach Österreich gebracht und dort in einem Schließfach deponiert haben. Schaab übernahm den Verkauf. In einem Luxushotel in Wien einigte er sich mit Saddams Emissären auf 100 000 Mark. Damit war das Geschäft für ihn noch nicht vorbei: Der Tüftler aus Kaufbeuren, der nach seinem Ausscheiden bei MAN eine kleine Firma gegründet hatte, flog fortan immer wieder nach Bagdad, um den dortigen Experten beim Bau einer Guz unter die Arme zu greifen. Er half auch bei der Montage eines ersten GUZ-Prototypen. Geschäfte in Höhe von einer knappen Million Mark wickelte Schaab insgesamt mit den Irakern ab. Durch die "veräußerten Unterlagen in ihrer Gesamtheit" urteilt der Generalbundesanwalt, sei der Irak mit Hilfe von Schaab schließlich über den "Stand der modernen Gasultrazentrifugentechnologie" informiert worden. Doch daß der Atomspion noch einmal ins Gefängnis muß, ist unwahrscheinlich. Als er von den neuen Vorwürfen erfuhr, setzte er sich nach Brasilien ab und wurde dort im Dezember 1996 verhaftet. Die quälenden 15 Monate im Gefängnis von Rio de Janeiro werden ihm doppelt, möglicherweise sogar dreifach auf die in Deutschland zu verbüßende Strafe angerechnet. Und Schaab hat mit Hilfe seines Anwalts Michael Rietz ein letztes Mal gedealt: Er will den Verrat von Staatsgeheimnissen einräumen und dem Gericht damit ersparen, jedes einzelne im Irak gefundene Dokument auf seinen Geheimhaltungsgrad und seine technische Relevanz für die Urananreicherung zu überprüfen. Ansonsten hätte das Gericht monatelang über die Feinheiten der Nuklearphysik debattieren müssen - und wäre damit überfordert gewesen. Im Gegenzug winkt nun ein milder Strafantrag der Bundesanwaltschaft. Der Spiegel, 29.Juni 1999 |