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Sollten bei Razzia in Anwaltskanzlei illegal Beweise beschafft werden? Fahnder verliert verdächtigen Zettel |
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Versmold (WB) Im Fall des inhaftierten Schlachtarbeiter-Vermittlers Wilfried I. (52) aus Versmold bahnt sich möglicherweise ein Justizskandal an. Als die Kanzlei des Anwaltes von Wilfried I. in der vergangenen Woche durchsucht wurde, sollen die Fahnder illegalerweise nicht nur nach Akten im Fall I. gesucht haben, sondern auch nach Unterlagen, die die Staatsanwaltschaft Köln in einem ganz anderen Verfahren dringend benötigen könnte, für deren Beschlagnahme sie aber keine Vollmacht besitzt. Dieser Verdacht ergibt sich aus dem Inhalt eines Zettels, der einem der Beamten während der Razzia in der Kanzlei offenbar aus der Tasche gefallen war. Wilfried I. wird von der Staatsanwaltschaft Oldenburg verdächtigt, seit 1999 in 3577 Fällen rumänische und bulgarische Arbeiter an Großschlachthöfe in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vermittelt zu haben, ohne ihnen den in den Werkverträgen zugesicherten Lohn gezahlt zu haben. Der Schaden der Finanz- und Sozialkassen durch diese mutmaßlich illegale Arbeitnehmerüberlassung wird von der Steuerfahndung Bielefeld mit elf Millionen Euro beziffert. Dienstag hatten Beamte von Staatsanwaltschaft und Kripo in Siegen die Kanzlei der Anwälte Norbert W. und Arnim O. durchsucht. Die Anwälte vertreten Wilfried I. sozialversicherungsrechtlich und werden verdächtigt, ihm Beihilfe geleistet zu haben. Die Kanzlei hat sich neben anderem auf Werkvertragsrecht spezialisiert und berät Wilfried I. seit Jahren. Zu den Mandanten der Sozität gehört auch ein Dr. M. aus dem Rheinland. Der Geschäftsmann saß mehrere Monate in U-Haft und muss sich seit geraumer Zeit vor dem Landgericht Köln verantworten, weil er bei der Beschäftigung ungarischer Arbeiter in der deutschen Blechindustrie gegen Werkvertragsrecht verstoßen haben soll. Allerdings hat der Richter den Prozess derzeit ausgesetzt, weil die Ermittlungen sehr viele Fragen offengelassen haben. Deshalb steht die Staatsanwaltschaft Köln unter dem Druck, belastendes Material gegen Dr. M. zu finden oder den Prozess platzen zu lassen. Dieses Material sollte möglicherweise am Dienstag bei der Razzia in Siegen "nebenbei" beschafft werden. Denn einer der niedersächsischen Fahnder soll in der Kanzlei einen Zettel verloren haben, auf dem Namen von Firmen aufgelistet sind, die Dr. M. gehören. Das Papier befindet sich nun in der Obhut der Anwälte, die nicht an Zufall glauben und Dienstaufsichtsbeschwerde erstatten wollen. Unterdessen haben gestern erstmals die Strafverteidiger von Wilfried I. öffenlich Stellung bezogen. Michael Rietz und Dr. Ingo Minoggio erklärten, die Inhaftierung ihres Mandantes sei nicht zu rechtfertigen. Von Lohnsklaverei könne nach Auswertung der Ermittlungsakten keine Rede mehr sein, und auch der Vorwurf der unmenschlichen Unterbringung der Arbeiter entbehre jeder Grundlage. Rietz: "Unser Mandant hat sogar Hausmeister und Putzfrauen in den Unterkünften der Rumänen eingesetzt." Westfalen Blatt, 23.12.2003 |