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Ein wackeliges Geständnis Oldenburger Gericht will heute um 15.30 Uhr das Urteil gegen I. verkünden Von Helmuth Riewe |
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Halle/Versmold/Oldenburg. Das Drama um ein dem Angeklagten offenbar nur unter großen Mühen abgetrotztes Geständnis erlebten gestern die Beobachter des Prozesses gegen den Versmolder Unternehmer Wilfried I. und zwei Schlachthofbetreiber aus dem niedersächsischen Essen / Oldenburg wegen illegaler Arbeitnehmerschleusung und Unterschlagung von Sozialversicherungsbeiträgen in Millionenhöhe. Gesundheitlich und psychisch deutlich von mehr als acht Monaten Untersuchungshaft gezeichnet, rang I. sich gestern zu einem Kurzgeständnis durch, das er nicht selber verkündete, sondern durch seine Verteidiger verlesen ließ. Erst auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob er sich die Anwaltsausführungen zu Eigen mache, ergriff I. selbst das Wort. Sein "Ja" war auch im Zuschauerraum des Schwurgerichtssaal des Oldenburger Landgerichts klar verständlich. Das Urteil soll heute verkündet werden. Dem 53-jährigen Familienvater war zuvor in zähen zweistündigen Verhandlungen mit Vertretern der Steuerfahndung Bielefeld und dem Finanzamt Gütersloh der steuerrechtliche Weg zu seiner seit mehreren Prozesstagen erwarteten Einlassung geebnet worden. Beraten von seinen Verteidigern und seinem zusätzlich angereisten Versmolder Steuerberater wurden I. eine "tatsächliche Verständigung" unterbreitet, die er am Ende offenbar akzeptieren konnte. Zwar wurden gestern die Unterschriften unter die Vereinbarung mit den Finanzbehörden noch nicht geleistet, doch handelt es sich bi den noch offenen Fragen um Details. "Es muss noch etwas gehobelt und gefeilt werden!, so ein Finanzbeamter. In der nächsten Woche könne alles klar sein. Auch eine wichtige emotionale Hürde I.s hatte das Gericht im Vorfeld zur Seite gerückt. Während der vergangene Verhandlungstage war deutlich geworden, dass der Unternehmer sich dagegen sträubte, die Verantwortung für einen Überfall auf eine Ausländerunterkunft im niedersächsischen Badbergen zu übernehmen, der letztlich das Verfahren gegen ihn und seine Mitangeklagten in Gang gesetzt hatte. "Nicht erforderlich", lautete gestern Vormittag das überraschende Signal. Insoweit könne das Verfahren eingestellt werden, verkündete zähneknirschend der Staatsanwalt. "Ein Geständnis auf wackeligen Beinen" Das I.s Rest-Geständnis dennoch auf äußerst wackligen Füßen stand zeigte sich nach der Mittagspause, als das Verfahren gegen seine Mitangeklagten abgetrennt war und der Staatsanwalt mit seinem Plädoyer beginnen konnte. Kaum hatte er den ersten Anklagepunkt, die Bedrohung eines Ausländers mit einer Waffe, mit einigen Details ausgeschmückt, kam es im Gerichtssaal zum Eklat: "Mein Mandant will widerrufen", unterbrach I.s Verteidiger Dr. Ingo Minoggio den Redefluss des Staatsanwalts. In einer eilends anberaumten Setzungsunterbrechung gelang es Minoggio und seinem Münsteraner Kollegen Rietz allerdings, I. erneut umzustimmen. Jedenfalls gab er nach dem Wiedereintritt in das Verfahren keine Erklärung ab. Scheinbar unberührt stellte der Staatsanwalt in seinen weiteren Ausführungen mehrfach auf das "glaubwürdige Geständnis" I.s ab, das dank der dadurch erreichten Verfahrensverkürzung auch für den vergleichsweise moderaten Strafantrag von drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis zuzüglich einer Geldstrafe von 72 000 Euro herhalten musste. Man brauchte während der Worte des Staatsanwalts nur zu dem immer wieder den Kopf schüttelnden I. blicken, um nachzuvollziehen, dass hier in fragwürdiger Weise ein "glaubhaftes Geständnis" zugunsten eines schnellen Verfahrens allenfalls fingiert wurde. Offenbar war sich auch Minoggio dieses Dilemmas bewusst, als er sein Plädoyer dazu nutzte, um den prozessbeteiligten Juristen klar zu machen, wie schwer es für den angeklagten sei, die in zähen Verhandlungen gefundenen "Annäherung der Parteien" nachzuvollziehen. Sein Mandant sehe sich im bisherigen Prozessverlauf nicht richtig gewürdigt, erläuterte er dem Gericht. Fast flehentlich appellierte er an I., sein persönliches Schlusswort für eine Korrektur, also den Wiederruf, zu nutzen, falls er mit der gefundenen Lösung nicht leben könne. In einem solchen Fall müsse neu durchgestartet werden, so Minoggio, womöglich auch mit neuen Verteidigern. Zwar hielt I. sich in seinem kurzen Schlussvortrag formal an die gefundene Regelung, doch ließ er keinen Zweifel aufkommen, dass er in entscheidenden Punkten die Vorwürfe, die nun zu seiner Verurteilung führen sollen, nicht akzeptiert. Ihm sie in den letzten Jahren sein Betrieb aus dem Ruder gelaufen, räumte I. ein, er habe nicht mehr alles kontrollieren können. Dabei seien auch Fehler gemacht worden, so der Angeklagte, der sich dann aber deutlich festlegte: "Nicht in diesem Umfang." "Heute Urteilsverkündung um 15.30 Uhr" Das Gericht wird heute um 15.30 Uhr sein Urteil verkünden. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten spannend dürfte dabei vor allem werden, welchen Stellen- und Beweiswert die Richter dem I.-Geständnis zuweisen. Haller Kreisblatt, 08.07.2004 |