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Balssam - Prozess | ||
Nach der Flucht | ||
Prozess am LG Bielefeld | ||
Verschwinden von Klaus S. | ||
Auftauchen von Klaus S. | ||
Misteriöse E-Mails | ||
504 Tage auf der Flucht Das Ende eines Milliarden-Betrügers |
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Von Michael Quandt und Rena Pankow Er blieb ein Gentleman - bis ganz zum Schluss. Als seine Häscher ihn nach 504 Tagen endlich gefunden hatten, empfing sie Klaus Schlienkamp (47), frisch geduscht, die blonden Haare hatte er nass nach hinten gekämmt. Dem Anführer der Männer, die gekommen waren, um ihn aus seinem Versteck zu holen, ließ er im Wohnzimmer Frühstück servieren - Brot, Butter, Marmelade und tropische Früchte. Man duzte sich, Schlienkamp nannte den deutschen Zielfahnder fast freundschaftlich beim Vornamen Karl-Heinz. Die beiden saßen in Schlienkamps angemieteter Doppelhaushälfte in der St. Jude Street von Cebu-City (Philippinen) beinahe eine Stunde zusammen, sie plauderten, als ginge es um ein gemeinsames Geschäft. Doch es war von vornherein klar, dass Schlienkamp bei diesem Deal der Verlierer sein würde: Er hatte nur noch seine Freiheit anzubieten - und wusste, er würde sie an diesem Tag verlieren - für sehr lange Zeit. Er bekam, anders als im Geschäftsleben, kein Geld für sein Angebot, aber vielleicht etwas, das für den gläubigen Christen Schlienkamp mehr zählt: inneren Frieden. Klaus Schlienkamp, der trotz seiner Größe stets unauffällig wirkte, stand vor fünf Jahren im Mittelpunkt einer der größten deutschen Wirtschaftsaffären: Als Finanzvorstand der westfälischen Balsam AG war er zunächst entscheidend daran beteiligt, dass aus dem Familienbetrieb der Weltmarktführer im Herstellen von Spezialböden und Kunstrasen für Turnhallen und Sportplätze wurde. Als die Geschäfte nicht mehr so gut liefen, erwies sich derselbe Mann als raffinierter Trickser, Täuscher und Fälscher, am Ende standen Bankrott, Milliarden- Schaden - und ein Urteil, das ihn zehn Jahre ins Gefängnis schickte. Doch Schlienkamp, der trotz seines Geständnisses stets darauf beharrte, nie etwas für sich, aber alles zum Wohl der Firma getan zu haben, entzog sich dem 1999 gefällten Urteil durch Flucht. Der Freigänger fuhr im Spätherbst 1998 nach Cuxhaven, im Koffer hatte er Sommerkleidung, eine Taucherausrüstung und 72 000 Dollar in bar. Aus einer Pension schickte er dem Gericht einen Brief mit der Ankündigung seines bevorstehenden Selbstmordes. Am 8. November 1998 verlor sich seine Spur. Der 158. Verhandlungstag vor dem Landgericht Bielefeld musste ohne den Hauptangeklagten stattfinden - wie alle folgenden auch. Klaus Schlienkamp hinterließ seine Frau (Eva, die er bei den Zeugen Jehovas kennen gelernt hatte und zweimal heiratete) sowie die Holländerin Monique K. Für sie hatte er sich zunächst scheiden lassen und zwei Kinder mit ihr gezeugt -und war schließlich doch zu Eva zurückgekehrt. Beide Frauen, so sagte Schlienkamp gegenüber seinen wenigen Freunden, trugen nicht unbedingt dazu bei, dass der erste Abschnitt seines Lebens besonders glücklich verlief: Beide waren beziehungsdominant und trieben den Manager (letztes Jahresgehalt rund 3 Millionen DM) immer weiter an. Mehr Geld und noch mehr Geld sollte er besorgen - für edle Reitpferde, teure Autos, Luxusreisen, ausschweifende Feste. Für sich selbst wollte Schlienkamp nichts von alledem: Wenn die anderen feierten, hockte er allein bei Bier und Weinbrand im Hobbykeller und bastelte Modellschiffe. Sein unglückliches Privatleben und der desolate Zustand der Balsam AG, deren Bilanzlöcher Schlienkamp durch immer waghalsigere Transaktionen zu stopfen versuchte, trieben ihn auch immer weiter in die Sucht: Schließlich waren es zwei Flaschen Wein, die er tagsüber trank, am Abend betäubte sich der Spekulant mit Cognac und Psychopharmaka. Am 8.November 1998 hinderte Klaus Schlienkamp nur die eigene Feigheit, seinem verpfuschten Leben ein Ende zu setzen. "Ich stand in Cuxhaven an der Mole, aber ich hatte nicht den Mut, ins Wasser zu gehen", wird er später seinem Anwalt Michael Rietz erzählen. Stattdessen lief er den Kai entlang, fand schließlich einen Kapitän, der ihn für ein paar tausend Dollar auf seinem Frachter nach Südamerika mitnahm. Schlienkamp bekam eine der wenigen Einzelkabinen auf dem Schiff, schloss während der langen Überfahrt eine Art Freundschaft mit Edwin, einem philippinischen Matrosen. Dem Fremden vertraute der Deutsche viel von seiner Seelenqual an - die Gedanken an den Freitod, die gescheiterten Beziehungen zu Frauen, die Gründe, weshalb er die Heimat verließ. Über den Betrugsprozess und die verschwundenen Millionen verlor Schlienkamp jedoch kein Wort. Edwin, wie Schlienkamp ein gläubiger Christ, gab ihm zum Abschied seine Adresse in seiner Heimatstadt Cebu und bot Hilfe an - wann immer der andere sie benötigen würde. Schlienkamp nahm das Angebot nicht gleich an, seine scheinbar planlose Flucht führte ihn zunächst über Tahiti nach Neuseeland. In Auckland änderte er plötzlich und kurzfristig seinen bescheidenen Lebensstil, gab Tausende Dollar für Übernachtungen in Luxushotels aus. Er bestieg schließlich ein Flugzeug nach Hongkong, von dort flog er weiter nach Cebu - und meldete sich bei Edwin, dem Matrosen. Der verhielt sich so, als sei die Ankunft des Deutschen in der ersten Januar-Woche des vergangenen Jahres eine Selbstverständlichkeit. Und stellte ihm in seinem Haus in der Ortschaft Lutopan Village (rund zwei Autostunden von der Inselhauptstadt Cebu City entfernt) der Familie vor. Vater, Mutter - und Marietta, der Schwester. "Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick", sagt die 33-jährige Filippina den BamS-Reportern. "Er sah einfach blendend aus - mit seiner stattlichen Figur und den hellen Haaren." Was der jungen Frau, die von den Eltern stets angehalten worden war, sich "für den Mann ihres Lebens aufzusparen", besonders imponiert: "Er war so höflich und bescheiden." Vom ersten Tag ihres Kennenlernens an verbringt das ungleiche Paar praktisch jede Minute gemeinsam. Marietta genügt, was der Mann aus einer fremden Welt ihr erzählt - Fragen zu stellen hat sie nicht gelernt. Schon drei Wochen später vollzieht ein Richter in Lutopan die Trauungszeremonie - Schlienkamp weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sich seine Frau Eva in Bielefeld von ihm hat scheiden lassen. Mariettas Familie gewöhnt sich rasch an diesen Mann, dessen Barbestände zunächst ausreichen, ihnen allen den Lebensunterhalt zu sichern - obwohl Klaus Schlienkamp keiner Arbeit nachgeht. Fragt ihn Marietta, woher das Geld stammt, antwortet er stets ausweichend: "Mach dir keine Sorgen, das ist meine Privatsache ... ." Kontakt mit den etwa 500 anderen Deutschen auf Cebu meidet der international gesuchte Flüchtling. Meist sitzt er zu Hause,gelegentlich - das sind dann Festtage - kocht er für die Familie seiner Frau Gerichte aus der Heimat: Gulasch mit Nudeln, Rinderrouladen. Erst vor zwei Wochen, etwa zu dem Zeitpunkt, an dem er mit Marietta für 8000 Pesos (ca. 400 DM) ein Haus in einem der ärmsten Vororte von Cebu City anmietet, beginnt Schlienkamp, berufliche Aktivitäten zu entwickeln. Er besorgt sich einen Computer mit Internetanschluss, spricht von den Geschäften in der Finanzwelt. Und davon, sich an einer Gesellschaft zu beteiligen, die auf der Insel ein Charterboot besitzt. Zu alledem kommt es nicht mehr: Am Dienstagmorgen gegen acht Uhr stehen plötzlich fünf Männer im Wohnzimmer - zwei Beamte der Einwanderungsbehörde, ein Beamter der Kripo Bielefeld und zwei Zielfahnder. Das letzte Stückchen, das den Fahndern im Fluchtpuzzle des Klaus Schlienkamp noch fehlte, war eigentlich ein lächerliches Detail: seine Vorliebe für deutsches Brot. Ein Angestellter des einzigen Inselladens, der diese Sorte führt, gab den entscheidenden Hinweis... Marietta allerdings, die bis heute nicht ahnt, was hinter all dem steckt, packt ihrem Mann eine Tasche mit Waschzeug, T-Shirt und Hose. Dann wird er im Gebäude der Einwanderungsbehörde in eine vergitterte Zelle gesteckt. Dort darf sich Klaus Schlienkamp am Donnerstag verabschieden: "Sweetheart, take care of you" - Liebling, pass auf dich auf" sind seine letzten Worte, bevor er zum Flughafen gebracht wird, Ziel Frankfurt/Main. Marietta sitzt allein auf der winzigen überdachten Veranda, in mühsamen Englisch bittet sie die BamS-Reporter: "Wenn sie über meinen Mann schreiben, dann schreiben sie bitte auch noch, was ich ihm noch zu sagen habe: Klaus, ich werde auf dich warten. Bitte komm bald zu mir zurück. Und dann erzähl mir bitte die Wahrheit über dein erstes Leben ... ." BamS vom 2. April 2000 |