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Balssam - Prozess | ||
Nach der Flucht | ||
Prozess am LG Bielefeld | ||
Verschwinden von Klaus S. | ||
Auftauchen von Klaus S. | ||
Misteriöse E-Mails | ||
Der Jäger und seine Geliebte |
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Der Kripomann Karl-Heinz Wallmeier war der Held in einer der größten deutschen Wirtschaftsaffären. Doch die Erfolgsgeschichte wurde nun zur Tragödie, weil der besessene Ermittler der Frau des Betrügers zu nahe kam. An die Minuten, welche die letzten ihres Lebens hätten sein sollen, kann sich Eva Krüger nur noch schemenhaft erinnern. Die Kälte ist ihr im Gedächtnis geblieben, das entsetzliche Frösteln; "Wenn du schon krepierst", dachte die 50-Jährige, "dann willst du nicht auch noch frieren." Also zog sie sich mit letzter Kraft aus dem kalten Wasser und schlug neben der Badewanne auf den Fliesen auf. Die Wärme der Bodenheizung hielt sie so lange am Leben, dass sie noch rechtzeitig gefunden wurde. Am Morgen des 3. Januar wollte sich Eva Krüger selbst töten, weil ihr Liebhaber sie verlassen hatte. Krüger nahm Schlaftabletten, schloss die Badezimmertür von innen ab und schnitt sich dann mit einem Küchenmesser die Pulsader der rechten Hand auf. Mit dem Blut schmierte sie noch "Wallmeier Mörder" an die Wand und legte sich zum Sterben ins Wasser. "Das Ausmaß an seelischem Schmerz", sagt sie, "war nicht mehr zu ertragen." Eva Krüger fühlte sich verletzt und betrogen vor allem aber benutzt und das von einem Menschen, der als Vorbild an Geradlinigkeit und Unbestechlichkeit gilt, als redlich, verlässlich, gerecht. Karl-Heinz Wallmeier, 52, war der Polizist, der den Balsam-Skandal aufdeckte, eines der größten deutschen Wirtschaftsverbrechen, und der den Hauptverdächtigen um die Welt jagte, bis er ihn ins Gefängnis brachte - Eva Krügers Mann. Immer wieder fragte Krüger sich nach ihrem Selbstmordversuch: Hatte sich ihr Liebhaber, der Kriminalhauptkommissar Wallmeier, nur mit ihr eingelassen, um sie auszuhorchen? Hatte sich der Beamte nur mit ihr abgegeben, um ihren zwischenzeitlich geflüchteten Ehemann wieder einzubuchten? Sie weiß es bis heute nicht. Klar ist aber, dass die: tragische Liebesgeschichte nun auch Wallmeier mit in die Tiefe zieht. Der Held eines Wirtschaftskrimis, der einst sogar auf eigene Kosten gegen mächtige Manager ermittelte, muss sich nun selbst verteidigen. Er soll die selbstmordgefährdete Eva Krüger sich selbst überlassen haben. In einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wurde ihm außerdem ein Vergehen vorgeworfen, das der Gesetzgeber "sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung" nennt. Was als ostwestfälisches Trauerspiel endete, begann vor mehr als 25 Jahren: Damals trat der Industriekaufmann Klaus Schlienkamp bei der Balsam AG, einem Sportbodenhersteller in Steinhagen nahe Bielefeld, eine Stelle an. Die Firma expandierte kräftig, und der Angestellte mit 2000 Mark brutto im Monat übernahm schon bald wichtige Aufgaben, besonders im Auslandsgeschäft. Doch der einstige Familienbetrieb verkraftete das schnelle Wachstum nicht, Balsam geriet in Schwierigkeiten - bis Aufsteiger Schlienkamp ein System erfand, das er die "wundersame Geldvermehrung" nannte. Kopien von Auftragsbestätigungen schickte er an einen Wiesbadener Inkassobetrieb. Der Finanzpartner glaubte an künftige Balsam-Großeinnahmen und streckte Geld vor, das er sich seinerseits wieder bei Banken lieh. "Kläuschen, du machst das schon", hieß es bald bei Balsam. Als das Unternehmen immer mehr Kapital brauchte, stellte der passionierte Schiffsmodellbauer mit Schere und Kleber die Auftragsbestätigungen her. Aus 569 000 Dollar machte er kurzerhand 9,56 Millionen Dollar. Und als auch das nicht mehr ausreichte, bekämpfte er Samstags mit Rotwein, Obstbrand und Cognac seine Skrupel, fuhr ins Büro und erfand virtuelle Projekte - irgendwo in der großen weiten Welt. Bald hatte Schlienkamp so viele Lügen konstruiert, dass es für ihn keinen Ausweg aus dem Schlamassel mehr gab. Denn auch privat hatte sich der Prokurist an das große Geld gewöhnt Seine Ehefrau, mit der er seit 1973 verheiratet war, hatte ein teures Hobby: die Reiterei. Das habe ihm "zunehmend Druck gemacht, den Lebensstandard zu halten", erklärte er später einem Psychiater. 1990 sei deshalb seine Ehe mit Eva, geborene Krüger, gescheitert. Das Schlienkamp Münchhausen-Gebäude begann 1992 zu kippen. Ein Mitarbeiter hatte ausgepackt, zunächst anonym in einem Brief, der bei der Staatsanwaltschaft landete; später, als sich nichts tat, bei der Kripo Bielefeld. Der Mann, der sich die Geschichte anhörte, war der Leiter der Abteilung für Wirtschaftskriminalität: Karl-Heinz Wallmeier. Der ehrgeizige Kripobeamte erkannte sofort die Brisanz. Doch Versuche, der Sache auf den Grund zu gehen, scheiterten an der Staatsanwaltschaft. Also ermittelte Wallmeier auf eigene Faust, fotografierte etwa in Frankreich grüne Wiesen, wo nach Schlienkamps Papieren eigentlich Sportplätze sein sollten. Mit Wallmeiers Beweisen war Schlienkamp erledigt. Dem Spüreifer des Beamten war es zu verdanken, dass die Balsam AG 1994 zusammenbrach. Mit einem Schaden von 1,44 Milliarden Mark ist die Pleite eine der spektakulärsten Betrugsaffären der deutschen Geschichte. Ganz Nordrhein-Westfalen war danach stolz auf den Ermittler. Düsseldorfs damaliger Innenminister Herbert Schnoor (SPD) lobte Wallmeiers "Berufsauffassung und Zivilcourage" als vorbildlich. Die Grünen zeichneten ihn mit dem "Preis für den aufrechten Gang" aus - wegen seines geraden Rückgrats" und dem "redlichen Intellekt", den die Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer pries. Endgültig geklärt schien die Pleite, als sich Schlienkamp im Knast hinsetzte und auf 230 Seiten ein Geständnis ablegte - Titel des Werks: "Das Milliardengrab". Doch das Kalkül des listigen Betrügers auf eine schnelle und milde Aburteilung ging nicht auf. Im April 1996 saßen Firmengründer Friedel Balsam, Schlienkamp und fünf weitere Beschuldigte auf der Anklagebank, es sollte einer der längsten deutschen Wirtschaftsstrafprozesse werden. Wenigstens zu Hause lief es aber wieder besser: Zwar scheiterte Schlienkamps zweite Ehe, dafür flammte die Liebe zu seiner ersten Ehefrau wieder auf - der Finanzjongleur heiratete während einer Haftverschonung seine Eva ein zweites Mal. Um wieder an Geld zu kommen, drehte Schlienkamp allerdings ein neues Ding: Mit der eigens gegründeten Kapitalanlagegesellschaft IM Consulting - zur Geschäftsführerin bestellte er pro forma seine Ehefrau - sammelte er 1,8 Millionen Mark ein, um damit zu spekulieren. Schon im Oktober 1998 war das Geld bis auf einen kleinen Rest verzockt. Einen Monat später fuhr Schlienkamp deshalb mit seinem grünen Rover 620 i nach Cuxhaven, stellte ihn auf einem Parkplatz an der Landungsbrücke "Alte Liebe" ab und war von da an verschwunden. Der Strafkammer in Bielefeld schickte er einen Abschiedsbrief. In krakeliger Schrift teilte der Sohn eines Drehers sein "Ende" mit: "Wenn Sie diesen Brief erhalten, werde ich nicht mehr am Leben sein." War Schlienkamp wirklich ins Wasser gegangen? Einer glaubte nie daran: Wallmeier. "Ich kriege ihn, auch wenn es sechs Monate dauert", kündigte er öffentlich an. Doch die Ermittlungen waren mühsam. Berichte in "Aktenzeichen XY ungelöst" und in der "Fahndungsakte" blieben ohne Erfolg. In der Zwischenzeit verurteilte das Landgericht Bielefeld Firmengründer Balsam zu acht und, in Abwesenheit, seinen Finanzchef Schlienkamp zu zehn Jahren Haft. Wallmeier, der in seiner Heimatstadt wegen seines Balsam-Erfolgs längst ein "kleiner Star geworden war", wie sich ein Rechtsanwalt erinnert, steckte da längst wieder im Polizei-Alltag. Dazu gehörten auch Vernehmungen von Eva Krüger, die als Geschäftsführerin der IM Consulting zwischenzeitlich Beschuldigte in einem Betrugsverfahren war. Am 12. Januar 1999 musste Wallmeier Eva Krüger auf Anordnung der Staatsanwaltschaft festnehmen. Dokumente hätten ergeben, dass 364 000 Mark aus dem IM-Consulting-Zusammenbruch beiseite geschafft worden seien. Wallmeier konnte schnell klären, dass es sich bei der Summe um Peseten handelte. Über das, was danach geschah, gehen die Erzählungen auseinander. Als Wallmeier sie von einem Verhör nach Hause gefahren habe, sagt Eva Krüger heute, sei es passiert - der Kripomann sei so nett zu ihr gewesen, er habe eine Flasche Sekt bei sich gehabt, es sei zum Tete-a-tete gekommen, danach seien sie praktisch ein Liebespaar gewesen. Wallmeier datiert den Beginn der Affäre dagegen auf Ende 1999. Damals sei er auf die Bahamas geflogen, natürlich sei es dabei um Schlienkamp und die 30 Millionen Mark gegangen, die nach Berechnungen der Ermittlungsbehörden noch immer verschwunden sind. Als er ohne Ergebnis wieder zu Hause ankam, habe er noch "dies und jenes" mit Frau Krüger zu regeln gehabt. Dabei sei man sich eben näher gekommen. "Ein Fehler", sagt Wallmeier heute. Denn Eva Krüger, die nach der zweiten Scheidung von ihrem Mann wieder den Mädchennamen angenommen hatte, spielte weiter eine wichtige Rolle im großen Balsam-Krimi. Eines Nachts klingelte ihr Telefon, ohne dass sich der Anrufer meldete. Sie ahnte, dass ihr flüchtiger Ex-Mann sie zu erreichen versuchte. Sie erlaubte Wallmeier daraufhin eine Telefon-Fangschaltung einzubauen. "Hätten wir kein Verhältnis miteinander gehabt", sagt Eva Krüger, "hätte ich das niemals zugelassen." Der Fahnder und die Frau des Betrügers - der Brisanz ihrer Beziehung waren sich beide bewusst. Die Leute in Bielefeld tuschelten längst über das heimliche Paar. Einmal, so erzählt Eva Krüger, habe sie ihn direkt auf die Gerüchte angesprochen. Sie habe gefragt, ob es stimme, dass er nur deshalb scharf auf sie sei, weil er an ihren Ex-Mann herankommen wolle. "... aber dann ist doch mehr daraus geworden", habe er ihr geantwortet. Im März 2000 wird die Besessenheit, mit der Wallmeier Schlienkamp jagt, belohnt. Akribisch hat er zahllose Passagierlisten ausgewertet, dann fliegt der Wallmeier von Bielefeld mit zwei Fahndern des Bundeskriminalamtes auf die Philippinen. Im Zentrum der Inselhauptstadt Cebu City stürmen sie eine Mietwohnung. "Guten Tag, mein Name ist Wallmeier, erinnern Sie sich an mich?", so begrüßt der Jäger sein Opfer. Schlienkamp hatte bei seiner Flucht auf einem Frachter einen Filipino kennen gelernt, der ihn zu sich nach Hause eingeladen hatte. Dort lebte der Deutsche von seinen Reserven. Geheiratet hatte er auch wieder: Marietta, die Schwester seines Kumpels vom Schiff. Nachdem Wallmeier Schlienkamp im Gefängnis von Bielefeld-Brackwede abgeliefert hat, fährt der Kripomann zu Eva Krüger. Sie feiern mit Sekt, sie schmieden Pläne, reden vom Heiraten, schauen sich gemeinsam eine Wohnung an. Doch glücklich wird die Beziehung nicht mehr, auch wenn sich beide sexuell sehr zueinander hingezogen fühlen. Sie leidet darunter, dass ihre Liebe heimlich bleiben soll und Wallmeier sie immer länger mit Versprechungen hinhält, sich bald von seiner Frau, einer angesehenen Kriminalbeamtin in Gütersloh, zu trennen. Ihn nervt das ständige Gerede seiner Freundin von einer gemeinsamen Zukunft. Einmal stellt Michael Rietz, der ehemalige Anwalt von Schlienkamp, Wallmeier zur Rede. Er halte es "für eine Sauerei", sagt Rietz, dass Wallmeier sich in seinem Jagdeifer an Frau Krüger herangepirscht habe. Wallmeier macht Schluss mit der intimen Beziehung, beginnt die Affäre später von neuem. Im November 2001 hinterlegt Eva Krüger bei einem Notar ein Tonband, auf dem sie detaillierte Angaben zu dem Verhältnis macht - "für den Fall, dass mir etwas zustößt". Heute liegt die Aufnahme als Beweisstück bei der Kripo. Am 2. Januar findet die letzte Aussprache statt. Wallmeier habe zum Schluss gefragt: "Was tust du, wenn ich gehe?", berichtet Eva Krüger. "Du tötest mich, ich kann ohne dich nicht leben", habe sie geantwortet. Wallmeier sagt, er habe den Eindruck gehabt, dass sie nach dem Gespräch, "sehr ruhig und vernünftig" gewesen sei. Eine Fehleinschätzung. Oberstaatsanwältin Karin Specht leitete deshalb unter anderem ein Ermittlungsverfahren gegen den Polizeibeamten Karl-Heinz Wallmeier wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Körperverletzung" ein. Ein Bekannter von Eva Krüger hatte den Fahnder angezeigt, auch, weil sich der nicht um seine Geliebte gekümmert habe, obwohl er von der "Suizidgefahr" gewusst habe. "Frau Specht ist die Höchststrafe", sagt Wallmeier. Der Ermittlerin eilt wie ihm selbst ein Ruf der Unerbittlichkeit voraus. Wallmeier schreitet im Bielefelder Polizeipräsidium an langen Regalen mit blauen Aktenordnern vorbei - sein nächster heikler Fall, es geht um angebliche Betrügereien eines ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten. Von seinen Vorgesetzten, stöhnt Wallmeier, sei er wegen der Affäre bereits "gefaltet" worden. An der Wand seines Büros hängen die stummen Zeugen seines Ehrgeizes: Plakate von Triathlon-Wettbewerben in Malaysia, Florida und Hawaii, an denen der leidenschaftliche Ausdauersportler teilgenommen hat. Dazu die Auszeichnung der Grünen. "Ich habe diese Frau geliebt", sagt der Mann, "zeitweise." Doch zu dem Zeitpunkt seiner Leidenschaft sei sie weder Zeugin noch Beschuldigte oder Informantin irgendeines Verfahrens gewesen. Das zu sagen ist ihm wichtig - aus dienstrechtlichen Gründen. Zum Beweis kramt er Akten und Dokumente hervor, die viel über den fall Schlienkamp aussagen. Nur: Warum und ab wann sein Herz ausgerechnet für die Frau seines berühmtesten Verbrechers schlug, können sie naturgemäß nicht erhellen. Für Eva Krüger, die in der vergangenen Woche nach sechswöchigem Aufenthalt aus dem Krankenhaus entlassen wurde, sind das alles nur "Ausreden und Lügen". Waren die Baccara-Rosen, der Sekt, die Reise zum Berlin-Marathon nur Köder, mit denen der Jäger sie fangen wollte, fragt sie sich immer wieder. "Er hat mich abhängig gemacht, ich war ihm hörig", sagt sie, "ich konnte mich nicht von ihm lösen, und das war ihm in vollem Umfang bewusst." Schon nach zwei Wochen stellt die Staatsanwältin das Verfahren ein. Frau Krüger sei "selbst für ihre Verletzungen verantwortlich", schreibt Anklägerin Specht, und "die strafrechtliche Verfolgung des möglichen Mitverursachers" sei kein Anliegen der Allgemeinheit. Außerdem habe Wallmeier die Krüger "wie ein Privatmann" umworben, der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung seiner Amtsstellung lasse sich deshalb nicht halten. Aber nun kümmert sich der Generalstaatsanwalt in Hamm um den Fall. Dass seine geschiedene Frau Schluss machen wollte, erfuhr irgendwann auch der Mann in der Zelle: In der Justizvollzugsanstalt. Remscheid-Lüttringhausen sitzt Klaus Schlienkamp in Einzelhaft, baut tagsüber Kinderspielzeug zusammen und lernt abends Keyboardspielen. Er wusste von der Liaison seiner Ex-Frau zu seinem zähen Verfolger. Er hatte sich mit Eva ausgesprochen und hoffte mit ihr, dass sie an der Seite des hochgelobten Beamten nach all den Betrügereien "den Befreiungsschlag" schaffen würde. Nun quält den Mann in dem blauen Knastpullover sein Gewissen. Denn wenn er nicht geflüchtet wäre, sagt Schlienkamp, "dann wäre das doch alles nicht passiert". Der Spiegel, Nr. 8 (Seite 46 - 52) Autor: Ludwig |