Themenübersicht: |
Balssam - Prozess | ||
Nach der Flucht | ||
Prozess am LG Bielefeld | ||
Verschwinden von Klaus S. | ||
Auftauchen von Klaus S. | ||
Misteriöse E-Mails | ||
Die "Maske des Biedermannes" |
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Trotz Schlienkamps Verschwinden übrige Angeklagte weiter auf freiem Fuß Von Peter Johnsen Bielefeld Unter keinem guten Stern steht der seit zweieinhalb Jahren andauernde Balsam Prozeß vor dem Bielefelder Landgericht. Nach Ulrich Brandenberger, der sich Anfang Februar absetzte, fehlt mit Klaus Schlienkamp nun auch einer der Hauptangeklagten. Während der Ex-Procedo-Prokurist Brandenberger vermutlich behaglich in seinem Schweizer Domizil sitzt, ist das Schicksal des ehemaligen Finanzchefs der Balsam-Gruppe völlig ungewiß. Der Inhalt des Abschiedsbriefes, den Schlienkamp an das Gricht sandte, ist unmißverständlich. Danach hat der 45jährige Vater zweier Kinder, der in diesem Jahr seine erste, später von ihm geschiedene Ehefrau zum zweitenmal heiratete, Selbstmord begangen. Die Staatsanwaltschaft hegt allerdings "begründete Zweifel", so Oberstaatsanwalt Heinrich Rempe, an dieser Absicht. So vermutet, nicht zuletzt aufgrund der Begleitumstände von Schlienkamps Verschwinden, daß es sich um ein Täuschungsmanöver handelt, um eine von langer Hand sorgfältig geplante Flucht zu bewerkstelligen. Die Anklagebehörde hat daher eine Fahndung nach dem Vermißten ausgelöst. Die Verteidiger der übrigen Angeklagten scheinen diese Ansicht zu teilen. "In der Maske des Biedermannes und reuigen Sünders", so Muscats Anwalt Thimas Knierim, habe Schlienkamp alle Verfahrensbeteiligten an der Nase herumgeführt. Das Verschwinden des als religiös geltenden Mannes - er gehört den Zeugen Jehovas an - am vergangenen Freitag löste hektische Betriebsamkeit aus. Seine Ehefrau wandte sich am Montag an seinen Verteidiger Michael Rietz. Ihr Mann habe sich zu einer Geschäftsreise nach London verabschiedet, berichtete sie. Den letzten Telefonkontakt habe es am Sonntag gegen 10 Uhr gegeben. Danach sei die Mailbox von Schlienkamps Handy nicht mehr erreichbar gewesen. Rietz verständigte seine Co-Verteidiger, gemeinsam beschloß man, auch die Anwälte der anderen Angeklagten zu informieren. Als Friedel Balsam von dem Verschwinden Schlienkamps erfuhr, geriet der in Panik. Er befürchtete, wie schon nach der Flucht Brandenbergers, erneut in Untersuchungshaft zu müssen. Mit seinem Verteidiger Jojann Wegener Begab er sich am Abend zur Wohnung des Kammervorsitzenden Bodo Wabnitz um den Richter persönlich von seiner Lauterkeit zu überzeugen, traf diesen aber nicht an. Wabnitz wiederum trommelte zwei Richterkollegen zusammen, mit denen er sich am Montagabend um 22 Uhr im Landgericht traf, um Haftbefehl gegen Schlienkamp zu erlassen. Den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Haftbefehle gegen die Anklagten Friedel Balsam, Rolf Muscat und Dieter Klindworth wieder in Vollzug zu setzen, wies die Kammer am Ende des gestrigen Verhandlungstages zurück. Ein Nachahmungseffekt, der durch die Flucht Brandenbergers hätte ausgelöst werden können, sei diesmal nicht zu befürchten, begründete Wabnitz die Entscheidung. Dafür, daß Schlienkamp sich dem Prozeß entzogen habe, könnten auch berufliche oder private Gründe ausschlaggebend gewesen sein, die nichts mit diesem Verfahren zu tun hätten. Im Balsam-Prozeß wird den ursprünglich sieben Angeklagten vorgeworfen, 45 Refinanzierungs- und Hausbanken im insgesamt 1,3 Milliarden Mark betrogen zu haben, indem nicht existente Forderungen aus dem Bau von Sportstätten an die Factoring-Firma Procedo verkauft wurden. Nach dem spektakulären Zusammenbruch Balsams waren zunächst alle Verdächtigten festgenommen worden. Balsam befand sich vom 7. Juni 1994 bis zum 8. August 1996 und vom 3. Februar bis 2 Juni 1997 in Untersuchungshaft. Muscat vom 30. August 1994 bis 28. Juni 1996 und vom 3. Februar bis 6. Mai 1997. Der Prozeß wird am Mittwoch, 18. November, fortgesetzt. Neue Westfälische, 11.11.1998 |