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Balssam - Prozess | ||
Nach der Flucht | ||
Prozess am LG Bielefeld | ||
Verschwinden von Klaus S. | ||
Auftauchen von Klaus S. | ||
Misteriöse E-Mails | ||
Klaus Schlienkamp: "Für mich ist alles zu Ende" |
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Ehrenerklärung für den im Balsam-Prozeß angeklagten Dr. Muscat Von Martin Neitmeier, Bielefeld (gl). Klaus Schlienkamp fehlt. Die erste Bombe platzt gestern morgen im Landgericht, noch bevor Richter Dr. Bodo Wabnitz um 10.38 Uhr den 158. Verhandlungstag im Balsam-Prozeß eröffnet hat. Die zweite hält der Vorsitzende der Strafkammer wenig später selbst in Händen, als ihm ein gerade eingegangener Brief Schlienkamps in die Sitzung gereicht wird: "Wenn Sie dieses lesen, werde ich nicht mehr am Leben sein ..." Der 45jährige Kaufmann hat den Brief vermutlich Sonntag in Cuxhaven geschrieben. Seine Verteidiger identifizieren die Handschrift. "Ich komme mit dem Leben nicht mehr zurecht", steht da. Vor viereinhalb Jahren habe er gedacht, "einen Schlußstrich ziehen und die Strafe für mein falsches Handeln entgegen nehmen zu können". Doch er könnte mit der Schuld nicht mehr leben. "Für mich ist alles zu Ende." Verteidiger und Gericht sind konsterniert. Das der Angeklagte sich abgesetzt haben könnte, dafür hatten sich am Montag Anzeichen verdichtet. Verteidiger werden informiert, Gericht und Staatsanwaltschaft auch, und noch gegen 22 Uhr erläßt die Kammer Haftbefehl. An einen Freitod denkt niemand. Auch die Ehegattin nicht. Schlienkamp ist zum dritten Mal verheiratet, jetzt wieder mit seiner ersten Frau; mit seiner zweiten hat er zwei Kinder. In der unter anderem von ihm und seiner Frau betriebenen Anlagefirma LM Consulting habe er sich am Freitag verabschiedet, um geschäftlich nach London zu fliegen, weiß Verteidiger Michael Rietz zu berichten. Seine Frau habe zuletzt am Sonntag mit ihm telefoniert, dabei habe ihr Mann "ziemlich zusammenhangloses Zeug" erzählt. Danach sei der Kontakt zu Handy und Mobilbox abgebrochen. Gestern morgen läßt die Staatsanwalt Wohn- und Geschätsräume Schlienkamps durchsuchen. Hinweise auf seinen Aufenthaltsort findet man nicht, heraus kommt aber, daß die Finanzgeschäfte mit einem Broker-Haus (Börsenmakler) in Frankfurt offensichtlich schlecht gelaufen sind. Als der 45jährige Ende September weitere geforderte Sicherheiten nicht geben kann, stellt das Broker-Haus die laufenden Geschäfte glatt. Von 890 000 US-Dollar Kundengeldern bleiben 78 000 Dollar. 72 000 hat Schlienkamp in den letzten Tagen abgehoben. Ob er damit auf und davon ist und möglicherweise noch auf verschwundene Balsam-Millionen zurückgreifen kann, steht in den Sternen. Anhaltspunkte, wo noch Gelder sein könnten, hat die Staatsanwaltschaft nach wie vor nicht. Gleichwohl erscheint der im Brief mit Blick auf die Betrügereien bei Balsam angekündigte Freitod vor dem Hintergrund dieser Ermittlungen in einem andere Licht. Trotz aller Rätsel um sein Verschwinden, eines hat Schlienkamp in seinem (Abschieds-) Brief noch klargestellt: Bei den Angeklagten Dr. Muscat liegt die Kammer falsch. Der Wirtschaftsprüfer habe "zwar fahrlässig und schlampig gehandelt, nicht aber böswillig". Die Glocke, 11. November 1998 |