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Von Ernst-Wilhelm Pape, Bielefeld/Steinhagen (WB)
Nach ersten vorsichtigen Schätzungen hat die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen im Fall des einst weltweit größten Sportbodenherstellers Balsam in Steinhagen (Kreis Gütersloh) von 1985 bis zum Zusammenbruch des Unternehmens im Juni 1994 mindestens 100 Millionen Mark zuviel Steuern kassiert. Der Grund: Die Steuern wurden für "Luftgeschäfte" gezahlt. Mit diesen "Luftgeschäften" sollen Verantwortliche der Balsam AG im Zusammenwirken mit dem Wiesbadener Finanzanbieter Procedo 45 in- und ausländische Banken um mehr als 1,5 Milliarden Mark betrogen haben. Der Gesamtschaden im Betrugsfall Balsam (Konkurs der Firma, Verlust der Arbeitsplätze, ausstehende Rechnungen) wird mit 2,5 Milliarden Mark angegeben. Einen Teil der Steuern, für den Zeitraum nach der letzten Großbetriebsprüfung (Ende 1990 bis Juni 1994) sollen das Land sowie zahlreiche Städte und Gemeinden jetzt zurückzahlen. Balsam-Konkursverwalter Hartmut Stange (Bielefeld) hat Steuererstattungsansprüche in Höhe von 30 Millionen Mark angemeldet. Diese Ansprüche werden mit sechs Prozent verzinst. Hinsichtlich der Gewerbesteuer, die Städte und Gemeinden zurückzahlen sollen, in denen Balsam eine Betriebsstätte hatte, sagte Stange: "Ich gehe davon aus, daß die Gewerbesteuer noch in diesem Jahr in die Konkursmasse fließt. Die Rückzahlung der Körperschaftssteuer kann aber noch dauern. Da stehen wir mit der Finanzverwaltung in intensiven Verhandlungen." Allein die Gemeinde Steinhagen, ehemaliger Firmensitz der Balsam AG, soll nach Angaben von Bürgermeister Klaus Besser (SPD) neun Millionen Mark Gewerbesteuer an den Konkursverwalter zahlen. Besser: "Wir haben noch keine Neuveranlagung des Finanzamtes erhalten und deshalb die Summe noch nicht in unseren Haushalt 1997 eingeplant. Wir gehen 1997 von Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 25 Millionen Mark aus. Müssen wir neun Millionen Mark zurückerstatten, wirft das unsere Finanzplanung total über den Haufen." Nach Angaben von Rechtsanwalt Michael Rietz, Strafverteidiger des geständigen Balsam-Finanzchefs Klaus Schlienkamp, trifft die Finanzbehörde zumindest eine "moralische Mithaftung" im Hinblick auf den Milliardenbetrug bei Balsam. So habe die Steuerfahndung bereits in den Jahren 1985/86 eine mögliche Betrugsalternative in Betracht gezogen. Rietz: "Bei Betrug mit Luftrechnungen hätte das Finanzamt schon damals Steuern zurückzahlen müssen. Es wurde aber die Alternative Steuerverkürzung gewählt und somit abkassiert. Ferner hat Schlienkamp dem Finanzbeamten Manfred von der Nahmer bei einer Großbetriebsprüfung bewiesen." Von der Nahmer wird heute als Zeuge im Balsam-Prozeß vor dem Bielefelder Landgericht vernommen. Bei einer Besprechung zwischen Balsam-Wirtschaftsprüfern und Finanzbeamten (Teilnehmer war auch von der Nahmer) am 5. Mai 1987 hat der Leiter der Steuerfahndung, Wolfhart Kansteiner, laut Protokoll erklärt: Im Falle einer möglichen Pleite der Procedo wolle man sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, bei der Prüfung der Unterlagen der Balsam-Gruppe nichts gemerkt zu haben. Auch der ehemalige Vergleichsverwalter der Procedo, Wolfgang von Betteray, ist der Meinung, daß die Finanzmanipulation im Zuge der Steuerfahndungsmaßnahmen bereits im Jahre 1987 unmittelbar vor der Aufdeckung standen. Van Betteray: "Durch eine Vereinbarung mit den Fahndungsbehörden wurde jedoch dem von diesen massiv vorgetragenen Manipulationsverdacht nicht weiter nachgegangen, vielmehr wurden nicht bestehende Steuerschulden und eine erhebliche Geldbuße gezahlt." Die damals anhängigen Steuerstrafverfahren gegen Firmenchef Friedel Balsam und Klaus Schlienkamp waren nach dem "Deal" mit dem Fiskus am 9. Februar 1988 auf Antrag des Finanzamtes mit Zustimmung des Amtsgerichtes Bielefeld eingestellt worden.
Westfalen-Blatt, 13.Dezember 1996 |
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